zum Hauptinhalt
Sohn eines Übervaters. Julius August Walter von Goethe (25.12-1789-28.10.1830).

© ullstein bild/Getty Images

August von Goethe: Der vielgeschmähte Sohn

Im Schatten eines Übervaters: Stephan Oswald revidiert den Mythos vom Versager in einer ersten Biografie.

Eine ungestillte Sehnsucht nach seinem Vater zieht sich durch das Leben des unglücklichen August von Goethe, mitleiderregend ist sein fast lebenslanges Mantra „Wenn du doch endlich wieder da wärst!“. Doch Goethe ist für seinen aus der Verbindung mit Christiane Vulpius hervorgegangenen einzigen Sohn nicht erreichbar, er ist stets anderswo, meist in seiner Arbeitsklausur in Jena, fern der Familie.

Früh lernt der Sprössling, wie bedeutungslos er in der Welt dieses großen Weimarers ist. Er flüchtet sich in Unterwürfigkeit, freut sich sogar über dessen eiskaltes Schweigen, das er beflissen als Zeichen des „Wohlbefindens“ seines geliebten Vaters verstehen will.

200 Jahre lang galt August der Forschung als biologisches Anhängsel des Dichters und zudem als unbegabt und erfolglos. Gegen seinen Vater hatte dieser Legastheniker, der zu viel trank und der zum intellektuellen Leben am Frauenplan keinen Zutritt hatte, keine Chance, und er selbst wußte das am besten. Während sich Goethe nach den Essen mit seinem Vertrauten Eckermann zu literarischen Gesprächen zurückzog, kam dem fast gleichaltrigen August die Rolle des Faktotums zu, der sich um die Haushalts- und Büroerfordernisse am Frauenplan zu kümmern hatte.

Grobes Alter Ego

Die immer wieder an ihn herangetragenen Ansprüche, am Format seines Vaters gemessen zu werden, wehrte er entschieden ab, indem er sich ein betont antiintellektuelles, grobes Alter Ego schuf. Übergriffige Drohungen wie die des Philosophen Johann Gottlieb Fichte, der herauskriegen wollte, „ob Sie würdig sich bilden, des Vaters Platz einst auszufüllen“, ließ er abblitzen.

In Weimar war man sich einig, dass August ein Versager war, und dieses Urteil wäre weiterhin gültig, hätte sich der Germanist Stephan Oswald nicht daran gemacht, die in den Weimarer Archiven lagernden Handschriften von August zu entziffern, eine Mühe, die bis dahin kein Philologe auf sich genommen hatte. Auch der tausendseitige Briefwechsel zwischen Goethe und seinem Sohn sowie Augusts Berlin- und Italientagebücher waren weitgehend ignoriert worden.

Eng an diesen Dokumenten entlang erzählt Oswald virtuos eine ganz neue Lebensgeschichte von August, die von den kursierenden Zerrbildern erheblich abweicht. Danach gelingt dem geschmähten August ein sehr normales bürgerliches Leben. Auf ein erfolgreiches Jurastudium in Jena und Heidelberg folgt eine Karriere als Kammerrat am Weimarer Hof sowie die Heirat mit Ottilie von Pogwisch, aus der drei Kinder hervorgehen.

Experte in Mineralogie

Darüber hinaus gilt August gilt als Experte in Sachen Mineralogie und wird in dieser Rolle sowohl von seinem Vater wie auch vom Herzog Carl August wiederholt zu Rate gezogen. Das Überraschende: der als unliterarisch geltende August betätigte sich auch schriftstellerisch in Form von Gedichten und Erzählungen, drei Prosa-Fragmente sind der Biografie als Anhang beigefügt.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Oswald Augusts Italienreise, die gleich zweifach motiviert war. Für Goethe war sie der therapeutische Versuch, den alkoholkranken Sohn, den man zuvor betrunken auf der Strasse liegend aufgefunden hatte und dessen Ehe zerrüttet war, zu heilen. Für August selbst war es die Flucht aus dem für ihn schwer erträglich gewordenen väterlichen „Käfig“ am Frauenplan, wo Goethe ihn und seine Familie in eine geduckte Mansardenwohnung verbannt hatte.

Notizen aus Italien

Augusts Reisetagebuch galt schnell als Flop, weil man es auf der Folie von Goethes Italienbuch nach vergleichbaren Bildungserzählungen absuchte, um die sich August wenig scherte. Oswald zeigt dagegen, wie sich August mit dem Blick des 19. Jahrhunderts der aufblühenden Technik und dem städtischen Alltag zuwendet.

Er portraitiert Weinspelunken, in die kein Tourist einen Fuss setzte, beschreibt Verfall und Elend der venezianischen Paläste ebenso wie das Schnaufen und Toben eines modernen Dampfschiffs, das ihn von Livorno nach Neapel bringt.

Zwangsläufig ist diese Biografie auch die Beschreibung einer pathologischen Vater-Sohn-Beziehung, die von der patriarchalischen Kühle des Dichterfürsten bestimmt ist. Mit psychologischen Feinsinn befreit Oswald den Goethe-Sohn, der vierzigjährig in Rom an einer Hirnhautentzündung starb, aus dem Schatten seines Vaters. Sein Buch führt uns auch in den Dschungel der damaligen sozialen Hierarchien.

Die Lebensgeschichte Augusts, dem „Bastard“, der aus einer für damalige Verhältnisse frevelhaften Beziehung hervorgegangenen ist, der erst mit zwölf Jahren vom Herzog „legitimiert“ und gesellschaftsfähig gemacht wurde, weitet sich so zu einer spannenden Sittengeschichte des klassischen Weimar.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false