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Berlin: ... das alte Jahr

Unheimlich rasch ist es vergangen, das Jahr 2006, das Jubeljahr der Fußball-WM und der aufwändigen und erfolgreichen Schönheitsoperation am Profil der Deutschen. Fast so schnell wie eine südamerikanische Ameisenart ihren Kiefer zuschnappen lässt: mit rekordverdächtigen 230 Stundenkilometern.

Unheimlich rasch ist es vergangen, das Jahr 2006, das Jubeljahr der Fußball-WM und der aufwändigen und erfolgreichen Schönheitsoperation am Profil der Deutschen. Fast so schnell wie eine südamerikanische Ameisenart ihren Kiefer zuschnappen lässt: mit rekordverdächtigen 230 Stundenkilometern. Da lässt es die riesengroße Koalition mit ihren Reformen weit bedächtiger angehen. Große Tiere beißen eben langsamer und stoßen auch häufiger wieder auf. Ein Schuft, wer dabei nur an die Gesundheitsreform denkt.

Auch in Berlin wird ein Bahnhofsdach nicht an einem Tag verlängert, ein Flughafen in einem Jahr geschlossen oder ein Autobahnzubringer nach Schönefeld in einem Jahrzehnt fertiggestellt. Gut Ding will gut Weile haben! Die Zukunft kommt schon noch schnell genug. Zum Beispiel aus der Berliner Luft. 2006 haben die billigfliegenden Touristen die Hauptstadt wie Heuschrecken zu Millionen heimgesucht. 14 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Wie wäre es übrigens, wenn man Easyjet den nächstjährigen Karlspreis für Verdienste um die Einigung Europas verleihen würde? Noch nie konnten so viele junge Leute kreuz und quer von Krakau nach Manchester und von Bilbao nach Helsinki durch unseren Kontinent jetten. Wenn das nur nicht so weitergeht: Mit 28 Millionen Passagieren wäre der neue BBI dann schon zur Eröffnung hoffnungslos überlastet.

Wie viel sicherer ist es doch, sich mit dem Vergangenen zu beschäftigen. Was war da noch im Jahre des Herrn 2006? Ein rabenschwarzes Jahr für die Zunft der Weissager und Vorausseher. Selten haben so viele „Experten der Zukunft“ so kräftig daneben getippt. Ob Börsengurus, Sachverständige oder Steuerschätzer – Anschluss an die wundersam gute reale Entwicklung konnte nur halten, wer laufend seine Voraussagen „nachbesserte“. Ganz nach der weisen Einsicht vom alten Winston Churchill, wonach der sicherste Zeitpunkt für eine Prognose „nach dem Ereignis“ sei. Besonders blamiert gehen die Börsenspezialisten zu ihren Silvester-Partys. Für sie muss es so etwas wie einen dritten Bildungsweg geben. Den Dax hatten die meisten bei höchstens 5800 landen sehen. Nun sind es gut 6500 geworden. Na und? So kleine Fehler können das Selbstbewusstsein doch nur heben.

Aufwärts geht es auch ohne Experten und ihre Prognosen. Das gilt sogar für Berlin. Nicht nur Hertha tummelt sich in den oberen Rängen, auch bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze taucht der notorische Looser Berlin immer häufiger auf den Spitzenplätzen auf. Das kann auch die neu gewählte, alt gediente Regierung nicht hemmen. Der Bär tobt endlich auch in den Läden und Einkaufszentren der Stadt, rund um die Uhr. Die Kauflust scheint so unheimlich gesteigert, dass ein angeblich nobles Autohaus ein Fahrzeug gleich zweimal verkauft. Aber es tut ihnen wenigstens leid.

Jetzt nach dem rauschenden Konsumfest – Magic Season nennen sie Weihnachten politisch korrekt in Finnland – wird alles wieder ein wenig gemächlicher. Kaum zu glauben, dass der durchschnittliche Müll, den ein weltmeisterlicher Deutscher hinterlässt, dieses Jahr von 456 auf 452 Kilogramm abgenommen haben soll. Was für ein tolles, unvergleichliches und doch flüchtiges Jahr! Was kann 2007 eigentlich noch besser laufen?

Heik Afheldt war Herausgeber des Tagesspiegel

Heik Afheldt (69),

geboren in Insterburg/Ostpreußen, ist Wirtschaftswissenschaftler und Honorarprofessor für Zukunftsforschung an der

Kunsthochschule in Berlin-Weißensee

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