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Berlin: 1. Mai: Zeig mir Dein Gesicht

Michael Kronwetter hat kaum die Flugblätter ausgepackt, schon widerfährt ihm, was jeden Marketingleiter zum glücklichen Menschen machen würde: Die Zielgruppe kommt von selbst auf ihn zu. Drei Polizisten treten heran.

Michael Kronwetter hat kaum die Flugblätter ausgepackt, schon widerfährt ihm, was jeden Marketingleiter zum glücklichen Menschen machen würde: Die Zielgruppe kommt von selbst auf ihn zu. Drei Polizisten treten heran. Jedoch - und jeder Marketingleiter würde ganz unglücklich - sie wollen jene Flugblätter nicht: "Ich nehme nur das, wo ein Impressum draufsteht." Unglücklich wirkt Kronwetter dennoch nicht. Mag sein, er hat solches erwartet.

Mit Marketing hat der junge Mann ohnehin nichts am Hut. Er gehört zur "Antifaschistischen Aktion Berlin" und begrüßt nun einige Mitstreiter. Es ist Mittwochmorgen, acht Uhr. Am Platz der Luftbrücke, Ecke Tempelhofer Damm: vorm Landeskriminalamt. Die Aktivisten wollen Polizeibeamte um ein Foto bitten. Doch dazu kommt es nicht.

Moment - ein Foto? Warum sollten Polizisten dahergelaufenen Antifaschisten ihr Foto geben? Zumal es obendrein an "Menschenrechtsorganisationen" weitergereicht werde, sagen die Aktivisten, und was solcherlei Obskuritäten mehr sind. Um "Opfern von Polizeigewalt" bei Einsätzen - zum Beispiel am 1. Mai - zur gefälligen Identifizierung des Täters zu helfen.

Na, die werden denen was husten, die Polizisten! Aber nicht mal dazu kommt es.

Das Trüpplein Antifaschisten wird an die andere Ecke des Platzes der Luftbrücke verbannt. Eine Auflage der Versammlungsbehörde - oder ein verwechselter Straßenname bei der Demo-Anmeldung - das wird nicht recht klar. Jedenfalls stehen sie nun mit dem improvisierten Fotostudio für Beamte, die gerade kein Passbild dabei haben, und mit ihren Kameras und Ferngläsern "zur Polizeiobservation" ganz außer Sichtweite der zum Dienst im LKA eintreffenden Beamten.

Doch nicht außer Hörweite. Michael Kronwetter setzt ein Megaphon in Betrieb. Fordert die "sehr geehrten Polizeibeamten" auf, sich fotografieren zu lassen; und noch einiges sonst. Durch die Gitter von zwei voll besetzten Mannschaftswagen - abgestellt zum Schutz der rund 30 Demonstranten - sieht man die Beamten feixen.

Überhaupt ist das Ganze keineswegs eine triste Veranstaltung. In Ermangelung der Polizisten fotografieren die Antifa-Aktivisten eben die anwesenden Pressefotografen. Und diese fotografieren zurück.

Ein hübsches Bild: die kritische Öffentlichkeit, in gleich zwiefacher Gestalt, wie sie sich selbst kontrolliert.

Dem Einsatzleiter aber reicht es jetzt. Megaphone sind erst bei Versammlungen von über 50 Personen zulässig. Das Gerät wird Kronwetter entzogen. "Polizeigewalt im Vorfeld des 1. Mai!" brüllt einer. Und an diesem Tag, im Vorfeld, finden das alle noch lustig.

Holger Wild

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