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Hartz IV trotz Arbeit: 3000 Euro für Mutter, Vater und fünf Kinder

Lohn, ALG II und Kindergeld: Wie eine Großfamilie mit einem Einkommen, staatlicher Hilfe und viel Kreativität über die Runden kommt.

Das beherrschende Möbelstück in der Küche ist der große Tisch. An dem versammeln sich abends die sieben Mitglieder der Familie B., die Eltern und die fünf Kinder. An diesem Tag steht Hühnchen auf dem Speiseplan. „Zwei Stück haben mich fünf Euro gekostet, das ist okay“, sagt Mutter Ute. Sie verwaltet die Familienfinanzen. Die 40-Jährige weiß, wie sie das Geld für ihre Familie einzuteilen hat. Das muss sie auch. Ihre Familie zählt zu den 80 000 Haushalten in der Stadt, deren Arbeitseinkommen nicht ausreicht und die ergänzend Hartz IV bekommen.

Ute B. trägt mit ihrer Arbeit als Krankenschwester einen wesentlichen Teil des Familieneinkommens bei. Mindestens zehn Schichten im Monat arbeitet sie – immer in der Nacht oder am Wochenende. Durch die Zuschläge dieser Schichten kommt sie auf rund 1400 Euro netto. Ihr Mann Guido verlor vor sieben Jahren seinen Job als Tischler; die Firma machte pleite. Damals war Guido B. bereits 48 Jahre alt. Kein Alter, in dem Unternehmen noch Handwerker suchten, sagt seine Frau. Die Angebote, die kamen, waren fast schon sittenwidrig. Mehr als 800 Euro hätte ihr Mann nicht verdient. Dabei sieht der Bau schon seit Jahren Mindestlöhne vor – für gelernte Arbeiter derzeit 12,50 Euro pro Stunde. Heute ist Guido B. 55 Jahre alt. Seit dem vergangenen Monat arbeitet er wieder in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, die rund 550 Euro bringt. Dazu erhält die Familie 820 Euro Kindergeld. Bei diesem Einkommen beziehen die B.s noch zwischen 250 und 300 Euro aufstockendes Arbeitslosengeld II, so dass die Familie auf ein Budget von 3000 Euro kommt. Ehepaare ohne Kinder haben in Berlin durchschnittlich 2500 Euro zur Verfügung. Würde Familie B. lediglich Arbeitslosengeld II beziehen, hätte sie einschließlich der Übernahme der Mietkosten einen Anspruch von 2700 Euro.

Wegen des Schichtdienstes, bei dem die Zuschläge unterschiedlich ausfallen können, muss das ALG II jeden einzelnen Monat aufs Neue berechnet werden. Ute B. muss laufend zum Jobcenter gehen, denn oft sind die Bescheide falsch. Mal gibt’s zu wenig, mal zu viel Geld. Das ist kompliziert. Für jedes Familienmitglied wird die Summe einzeln ausgewiesen; sieben Überweisungen werden fällig.

Die Familie wohnt in einem Reihenhaus zur Miete. So wachsen die Kinder in einer ruhigen Straße am Stadtrand auf. Sie haben sogar alle ein eigenes Zimmer. Als Handwerker war es für Guido B. kein Problem, ein paar Wände einzuziehen, als die beiden Jüngsten, die neunjährigen Zwillinge Lisa und Marie (Namen der Kinder geändert) ihren eigenen Raum brauchten.

Obwohl die Familie nach der offiziellen Definition mit ihrem Einkommen knapp an der Armutsgrenze lebt, versucht Ute B. ihren Kindern vieles zu ermöglichen. Das ist nicht leicht. Aber mit strengem Haushalten gelingt ihr einiges. Für sie ist es keine Frage, dass die beiden Jüngsten in den Hort gehen, um dort mittags zu essen. Die elfjährige Sophie kommt wie ihr 15-jähriger Bruder Paul und die 16-jährige Anna nach der Schule nach Hause. Bisher haben die Kinder an jeder Klassenfahrt teilnehmen können. Ute B. weiß, wie die Anträge beim Jobcenter gestellt werden müssen. Sie hat sich bei dem Umgang mit den Behörden Routine und Bestimmtheit erarbeitet. Von der Zuzahlung bei den Schulbüchern ist die Familie befreit; aber die darüber hinaus notwendigen Arbeitshefte müssen gekauft werden. 20 Euro pro Kind kostet das. Wenn dazu noch die Beiträge für die Klassenkassen zu Beginn des Schuljahrs fällig werden, wird es eng.

Zweimal in der Woche fährt Ute B. mit dem Auto zum Großeinkauf zum Discounter. Fürs Kochen ist dann in der Regel ihr Mann zuständig. Markenklamotten für die Kinder sind natürlich nicht drin. Als Sophie unbedingt Nike-Turnschuhe haben wollte, musste sie 30 Euro Differenz zu den normalen Schuhen von ihrem gesparten Taschengeld bezahlen. Auch der 15-Jährige hat Wünsche: Ein neues Handy soll her, seins ist mehr als vier Jahre alt. Er wird bis Weihnachten warten müssen. Einen Handy-Vertrag gibt es nicht, der Junge soll sich nicht verschulden. Dass die vier Mädchen reiten gehen, ist für Ute B. kein Luxus: Das kostet für alle zusammen nur 40 Euro. An der Schule gibt’s Pferde, für die Reitstunden ist lediglich ein kleiner Unkostenbeitrag fällig. Die Älteste braucht inzwischen gar nicht mehr zu zahlen, da sie dort viel hilft. Reitsachen gibt’s inzwischen auch beim Discounter. Bei B.s ist keine Ausgabe selbstverständlich; trotzdem ist sogar ein Urlaub drin: zwei Wochen Lüneburger Heide. Man muss nur lange genug im Internet nach günstigen Angeboten schauen.

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