zum Hauptinhalt

Berlin: 49-jähriger Arzt hatte sich seine Suchtmittel mit gefälschten Rezepten aus der Apotheke besorgt

Es war ein Oktobertag im Jahr 1988, der Dr. med Gerd H.

Es war ein Oktobertag im Jahr 1988, der Dr. med Gerd H. aus der Bahn warf. Bei einem Unfall brach sich der Arzt beide Füße und litt an wahnsinnigen Schmerzen. Ein Kollege spritzte ihm Morphium, und der Fachmann kehrte an seinen Arbeitsplatz in der Kinderchirurgie im Steglitzer Universitätsklinikum zurück.

Seine Füße schwollen aber an, Arbeiten konnte er nur nach Morphium-Injektionen. Als er 1992 vom Operationssaal in eine eigene Praxis im Europacenter wechselte, war er längst abhängig. Seine Sucht wuchs, bald musste sich der Arzt die Droge im Zwei-Stunden-Rhythmus spritzen. Jetzt steht der 49-jährige Mann vor Gericht. Zwischen März 1985 und Februar 1998 soll er bei diversen Krankenkassen Medikamente als Praxisbedarf abgerechnet haben, die jedoch nie zu den Patienten gelangten. In seine Abrechnungen für die Kassenärztliche Vereinigung schrieb er Leistungen, die er nie erbracht hatte. Die Staatsanwälte in Moabit haben 275 Fälle in der Anklageschrift aufgelistet. Geschätzter Schaden: 800 000 Mark.

Der Mann geriet zudem durch eine falsche Steuererklärung in die Schusslinie. Er deklarierte sein Einkommen für das Jahr 1996 nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft um 63 000 Mark zu niedrig. Ermittler der Soko "Medicus" der Kriminalpolizei sprachen mit Patienten, lasen Abrechnungen und durchforsteten die Patientenkartei. Es fiel auf, dass Morphium-Rezepte auf Privatpatienten ausgestellt waren. Die Rezepte hatte der Mediziner in der Apotheke eingereicht. Von dort holte er sich täglich bis zu 70 Ampullen mit einem morphiumhaltigen Schmerzmittel. Vor Patienten und Mitarbeitern hielt er seine Sucht verborgen.

"Süchtige Ärzte haben keine tiefere Einsicht in ihre Krankheit als andere Menschen", sagte der Psychiater Werner E. Platz gestern vor der 5. Großen Strafkammer des Landgerichts. "Sucht ist ein 24-Stunden-Job ohne moralische Hemmungen", sagte der Gerichtspsychiater. Der Gutachter sprach von einem Teufelskreis im Leben des Beschuldigten: Mit Morphium habe sich der Angeklagte "ein Egalgefühl" verschafft, mit Kokain sei er zu einer hohen "Pseudoleistungsfähigkeit" gelangt. Tests hätten ergeben, dass die Intelligenz des Mediziners nicht beeinträchtigt worden sei.

Die Staatsanwaltschaft hält den Gutachter indes für befangen und sähe ihn gern durch einen Kollegen ersetzt. Bis der Prozess am 13. Dezember weitergeht, will das Gericht darüber entscheiden.

Michael Brunner

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false