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Berlin: 95 Flüge pro Nacht

Wie viel Lärm darf es sein? Für die Anwohner des geplanten Großflughafens gelten keine gesetzlichen Grenzwerte Das Bundesverwaltungsgericht beklagt dies am vierten Verhandlungstag – Standortgegner erhoffen sich ein Nachtflugverbot

Leipzig - Richter Stefan Paetow war zum ersten Mal ungehalten. In Rage gebracht hatten den Vorsitzenden des 4. Senats beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gestern aber weder Kläger noch Beklagte im Prozess um den Ausbau des Flughafens Schönefeld. Paetows Zorn richtete sich gegen den Gesetzgeber. „Es ist ein beklagenswerter Zustand, dass der Normgeber beim Bau von Flughäfen so versagt hat“, erregte sich der Richter des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts. Denn damit gibt es auch für die Anwohner eines Flughafens, der neu gebaut oder erweitert wird, keine gesetzlichen Vorgaben beim Lärmschutz – wie jetzt wieder beim geplanten Ausbau Schönefelds zum Flughafen Berlin-Brandenburg International (BBI).

Es sei ein unmöglicher Zustand, dass es beim Bau von Straßen oder Bahnstrecken eindeutige Vorgaben auch zum Lärmschutz gebe, bei Flughäfen aber nicht, sagte Paetow weiter. In jedem Verfahren würde unglaublich viel menschliche Arbeitskraft verschleudert.

Auch in der Schönefeld-Verhandlung arbeiten Kläger und Beklagte mit zahlreichen Gutachtern. Das Gericht muss sich durch Tausende von Akten wühlen. Weil es so umfangreiche Unterlagen gebe, lehnte das Gericht auch gestern weitere Beweisanträge der Klägeranwälte ab.

Am vierten Verhandlungstag ging es gestern zunächst um die Nachtflüge. Im Genehmigungsbeschluss sind dafür keine Einschränkungen vorgesehen. Dass lediglich „lärmarme“ Flugzeuge eingesetzt und die Start- und Landebahnen so angeordnet sind, dass möglichst wenig Menschen unter Lärm leiden, sei selbstverständlich, so der Vorsitzende Richter. Ein unbeschränkter Nachtflugbetrieb, wie ihn die Genehmigungsbehörde – das Infrastrukturministerium in Brandenburg – vorsieht, sei eine große Ausnahme bei deutschen und europäischen Flughäfen, sagte Paetow.

Einschränkungen im Flugbetrieb, etwa ein Verbot von Starts und Landungen zwischen Mitternacht und 5 Uhr, gehören zu den so genannten aktiven Schallschutzmaßnahmen – wie etwa Lärmschutzwände an Straßen oder Schienen. Dies gilt bei Flughäfen nicht. Die Genehmigungsbehörde hat sich in Schönefeld vor allem auf den passiven Lärmschutz konzentriert. Anwohner erhalten dann Schallschutzfenster und je nach Belastung eine Belüftungsanlage, sofern der Lärm nicht generell unzumutbar ist – dann muss die Flughafengesellschaft die Häuser und Grundstücke kaufen. Den passiven Lärmschutz hinter geschlossenen Fenstern bezeichnete der bayerische Verwaltungsgerichtshof als „akustische Käfighaltung“.

Ob das Gericht Auflagen beim nächtlichen Flugbetrieb machen wird, ist ungewiss. Das Gericht verwies auf frühere Entscheidungen, wonach die Auflagen umso geringer sind, je dringlicher der Bedarf ist. Und dieser blieb auch gestern vor Gericht strittig. Anwälte und Gutachter auf der Klägerseite sehen keinen Bedarf. Die Genehmigungsbehörde und ihre Gutachter haben eine Prognose von etwa 95 Flügen in der Nacht ermittelt. Die Verhandlung wird heute fortgesetzt.

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