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Berlin: 99 Zeilen Schwerk: Mit Großdubrau in der Oberlausitz verbindet Berlin mehr als man denkt

Kleine Orte werden, wenn sie Tatorte wurden, an eine große Öffentlichkeit gezerrt. In der verstrichenen Woche wurde ein gut 5000 Seelen zählendes Dorf bundesweit genannt, das zwar kein Tatort war, wohl aber ein Ort, in dem sich ein triebkranker Gewaltverbrecher versteckt hatte: Großdubrau in der Oberlausitz.

Kleine Orte werden, wenn sie Tatorte wurden, an eine große Öffentlichkeit gezerrt. In der verstrichenen Woche wurde ein gut 5000 Seelen zählendes Dorf bundesweit genannt, das zwar kein Tatort war, wohl aber ein Ort, in dem sich ein triebkranker Gewaltverbrecher versteckt hatte: Großdubrau in der Oberlausitz. Der Anlass ist flüchtig und wird bald schon von anderen Anlässen überwölbt werden. Mir aber ist er herzlich willkommen, um diesem schönen Ort Großdubrau in einem ganz besonders schönen Landstrich nahe an meiner Heimatstadt Bautzen ein paar Zeilen zu widmen. Und der Berliner Bezug dabei? Er besteht - Porzellan betreffend - zwischen Moabit und Großdubrau.

Zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in Alt-Moabit die Porzellanfabrik Schomburg gegründet. Zu Ende ihrer goldenen sechziger Jahre wurde Schomburg eine Actiengesellschaft für Telegraphen-Bedarf, vorm. Hermann Schomburg. Jedes Wachstum stößt einmal an Grenzen, auch an räumliche. Das Moabiter Feld war in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts ausgeschritten. Schomburg gründete eine Zweigniederlassung in Großdubrau. Dort sind mit Kaolinvorkommen die natürlichen Voraussetzungen für eine Porzellanfabrikation gegeben. Eine ehemalige Kaolingrube ist in den zwanziger Jahren infolge unterbrochener Entwässerung vollgelaufen. Es ist seither ein höchst beliebter Badesee, der seines kristallklar-blauen Wassers und fast weißen Strandes wegen Blaue Adria genannt wird. Wir radelten als Kinder von Bautzen aus dorthin und wähnten uns in Großdubrau an italienischem Gestade. Es ist ja diese Oberlausitzer Heide ebenso nahe an Bautzen gelegen wie das Mittelgebirge in entgegengesetzter Richtung. In der Heide liegt eine der größten zusammenhängenden Teichlandschaften in Deutschland überhaupt, angelegt zur Fischzucht bereits im 14. Jahrhundert. Manch ein Karpfen, der auf Berliner Tafeln polnisch oder schlesisch oder sonstwie zubereitet kommt, stammt aus Oberlausitzer Teichen. Diese sind gegürtet von Schilf, voneinander getrennt durch Dämme und Wiesen, auf denen prächtige Eichen, auch Buchen und andere Bäume wurzeln. Zu meinen bildstärksten Kindheitserinnerungen gehören vogelkundliche Exkursionen mit Erwachsenen in aller Herrgottsfrühe zu den Teichen, stille Begegnungen mit der Natur, in der nur die Vögel musizieren - basso continuo die dommelnde Rohrdommel. Und wenn sich der Frühnebel hob, blicktest du in grüne Teichaugen von Mutter Natur. Ich laufe Gefahr, mich zu verlieren. Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja: Also Schomburg aus Moabit machte in Großdubrau die Margarethenhütte auf. In ihr wurde vorrangig technisches Porzellan geschaffen, Elektroporzellan.

In Moabit, wo ja alles begann, war 1903 Sense. Großdubrau und die Margarethenhütte hatten Bestand. Bis 1990, zur Wende, war Großdubrau eine Porzellanadresse. Dann kam der Würgegriff der Treuhand: Kurzarbeit, Kündigung. Abriss. Einige Werksangehörige aber schlossen sich zu einem Förderverein Margaretenhütte zusammen. Sie wollten nicht nur ausräumen und vernichten, sondern so viel als möglich bewahren, was an die Produktionsgeschichte erinnert. Sie bewahrten drei Gebäude vorm Niederreißen und richteten darin mit ABM ein Museum ein, einen Ort, an dem sich die Menschen nicht als Übriggebliebene einfinden, sondern als mit ihrem Ort, ihrer Landschaft, ja in ihrer Heimat Verwurzelte.

Als das Heimatmuseum Tiergarten-Moabit 1996 eine Schomburg-Ausstellung vorbereitete, machte das Berliner Landesarchiv auf die Großdubrauer aufmerksam. Von dort kam Hans-Joachim Zellmann spreeabwärts nach Moabit und steuerte bei, was die ganze Porzellangeschichte von Moabit und Großdubrau erst abrundete.

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