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Berlin: Abgehobene Pläne für Tempelhof

Ende 2004 soll der Flughafen endgültig geschlossen werden. Was danach aus dem Riesengelände wird, haben sich Stadtplaner überlegt

Anne Schmidt, die in Tempelhof wohnt, glaubt nichts mehr, was mit Terminen für die Flughafenschließung zu tun hat. Zu oft schon hat man ihr Termine genannt und die dann verschoben. Für Stadtentwicklungssenator Peter Strieder stand vor vier Jahren fest, dass es in Tempelhof nach 2002 keinen Flugverkehr mehr geben wird. Heute möchte sich Strieder nicht mehr festlegen, aber die Flughafenholding hat einen Wunschtermin genannt, zu dem sie den Airport stilllegen will: Ende nächsten Jahres.

Noch hängt alles von der weiteren Großflughafen-Planung in Schönefeld ab. Die Botschaft der Flughafengesellschaft lautet: Berliner, richtet euch darauf ein, vom symbolträchtigen Flughafen Abschied zu nehmen und freut euch auf was Neues auf dem Rollfeld! Aus den Schubladen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat der zuständige Planer Horst Sauer wieder die Entwürfe geholt, die Strieder schon 1999 vorgestellt hatte und die seither nur leicht verändert wurden: ein Park auf dem Rollfeld, Wohnviertel an den Rändern, Büros im Westen und Süden (siehe Kasten rechts). Die denkmalgeschützte Hülle der Flughafengebäude von 1936 bleibt erhalten. Dort haben sich etliche Gewerbe und Büros angesiedelt, darunter auch die Personalräte der Stadtreinigung.

Der Plan gilt als „Diskussionsgrundlage“. Bevor er verwirklicht werden könnte, müssen viele Fragen geklärt werden. Wer soll bauen? Was fordert der Bund, dem Randbereiche des Geländes gehören? Welche Preise setzt man an? Braucht man die vielen Wohnungen überhaupt? Sicher ist für Planer Sauer nur eins: dass Berlin ein „vehementes Interesse hat, das Gelände zu verwerten“. Angesichts der Haushaltslage sei es undenkbar, dass sich die Stadt hier lange ein riesiges Brachland leisten könnte.

Anne Schmidt wohnt seit 1982 im „Fliegerviertel“ an der Hoeppnerstraße. Sie freut sich über das geplante Grün mit Randbebauung, das ihr plausibler scheint als frühere Vorschläge. Die 56-jährige Lehrerin hat den Höhepunkt des Flugverkehrs in Tempelhof nicht mehr miterlebt, weil 1974 der neue Flughafen Tegel eröffnet wurde, wo die großen Flugzeuge seitdem hinfliegen. Aber auch die kleineren und leiseren Flugzeuge nerven sie und viele Bewohner in Tempelhof, Kreuzberg, Neukölln, in Schöneberg und Steglitz.

Aber Tempelhof hat auch Freunde. Fluggäste, unter ihnen Geschäftsleute und Bundespolitiker, loben die kurzen Wege. Der ehemalige Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen beispielsweise war nie für eine Schließung von Tempelhof. Auch die Taxifahrer, die täglich in langer Reihe vor dem „Zentralflughafen“ stehen, wollen den Flughafen behalten, auch wenn sie oft eineinhalb Stunden auf Kundschaft warten müssen. „Viele Gäste sagen, sie haben so einen Flughafen mitten in der Stadt noch nie gesehen“, sagt Taxifahrer Rolf Wagner, und ein Kollege pflichtet ihm bei, dass „90 Prozent der Kunden von diesem Luxus in der Stadt schwärmen“ und immer wieder beeindruckt oder auch eingeschüchtert sind von der Architektur Ernst Sagebiels.

In den späten 60er und frühen 70er Jahren war in Tempelhof der Teufel los: Mit vier Millionen Passagieren pro Jahr war die Kapazitätsgrenze erreicht, der Ausbau Tegels wurde unabdingbar. Im Restaurant des ersten Stocks, das es längst nicht mehr gibt, blickten Gäste den Flugzeugen hinterher. Bekannt wurde der Flughafen auch als Filmkulisse. Für Billy Wilders Streifen „Eins, zwei drei“ wurde er nachgebaut. In den 80er Jahren veranstalteten die Amerikaner auf dem Rollfeld beliebte Flugschauen.

Heute verteilen sich jährlich zwölf Millionen Passagiere zumeist auf die Flughäfen Tegel und Schönefeld, auf Tempelhof entfallen nur noch 600 000. Das führt mitunter zu einer provinziellen Stille: Dann sind von zwei Dutzend Schaltern nur vier besetzt, zuständig für „alle Flüge“. Geflogen wird beispielsweise nach Brüssel und London, Basel, Erfurt, Bremen, Mannheim oder Osnabrück. Diverse kleine Fluggesellschaften haben hier neben Lufthansa und Eurowings noch Büros, etwa Hahn-Air oder Air Baltic oder auch OLT, die ostfriesische Lufttransportgesellschaft. Auf die absehbare Stilllegung des Flughafens weisen in der großen Halle die vielen leeren Ladenbüros hin. Dann kann Anne Schmidt hoffen, vom Wecker geweckt zu werden. Bisher machen das die Flugzeuge.

Christian van Lessen

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