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Freiräume kontra Profit: Abschied von der Berliner Mischung?

Für alternative Projekte, Baugemeinschaften und ungewöhnliche Lebensentwürfe wird es in der Hauptstadt schwerer. Kann Berlins bunte Mischung gegen Renditedenken bestehen? Es gibt durchaus auch Hoffnung.

Es wird eng in Berlin. Das bekommt nicht nur der „Schokoladen“ in der Ackerstraße in Mitte zu spüren. Dort wurde mit ebenso viel Eigensinn wie Eigeninitiative ein verfallener Altbau in einen Kiez-Treffpunkt verwandelt. Jetzt ist der „Schokoladen“ gefährdet. So geht es nicht nur diesem Projekt. Der Verteilungskampf in Berlin um Grundstücke wird härter und immer weniger Raum bleibt für alternative Lebens- und Wohnformen. Manchen Berliner treibt die Frage um, ob Berlins Mitte in rasendem Tempo ein ganz gewöhnliches Zentrum wird – mit hübschen Fassaden, aber auch ein bisschen kalt und leblos.

Der Baustadtrat von Mitte, Ephraim Gothe (SPD), hat ein feines Gespür für soziale und städtebauliche Entwicklungen. Er glaubt, dass man sie lenken muss, damit sie nicht entgleiten. Er möchte etwas erhalten von diesem abenteuerlichen Berlin, dieser kruden, chaotischen, spontanen Mischung, die zur weltweiten Ausstrahlung der Stadt beitrug.

Sprengstoff liegt für Gothe zum Beispiel im Streit um das Grundstück Ackerstraße 169/170, dem Sitz der „Schokoladen-Mitte“. Das Wohn- und Kulturprojekt wurde 1990 gegründet: Theatervorführungen, Konzerte, Lesungen, Ateliers für Künstler – „Schokoladen“ bietet jene quirlige Melange aus Selbsterprobung und -entfaltung, der wirtschaftlich oft ein Balanceakt ist. Unter Renditegesichtspunkten ist mit solchen Nutzungen kein Staat zu machen – deshalb kündigte der Eigentümer des Grundstücks die Verträge. Die Nutzer stellen sich quer. Nun sucht der Baustadtrat nach einem Kompromiss.

Wie Grothe das machen will, könnte einen Weg aufzeigen, wie mit den sozialen und kulturellen Freiräumen in der Stadt behutsam umgegangen wird – und wie zugleich der Druck auf dem Wohnungsmarkt ein wenig gedämpft wird. Ein Tauschgeschäft möchte Gothe dem Eigentümer anbieten: dessen Schokoladen-Grundstück gegen Bauland in einem Areal weiter nördlich, an der Ackerstraße. Der Schokoladen-Verein will einen Millionenbetrag beisteuern. Und so hätte sogar das Land für seine leeren Kassen etwas davon.

Allein, dafür bedarf es eines politischen Willens. Bisher war der Liegenschaftsfonds auf maximale Erträge bei der Verwertung landeseigener Grundstücke durch Ausschreibungen geeicht. Oder auf die Direktvergabe an wirtschaftlich bedeutsame Firmen: Das Tauschgeschäft steht in Konkurrenz zur geplanten Direktvergabe eines ganzen Areals an die Architekten Graft und das Modelabel „Jette“. Der Einsatz von Bauland für soziale oder karitative Zwecke ist beim Liegenschaftsfonds zwar auch schon mal vorgekommen: So erhielt die Kinderstiftung Arche ein unbebautes Grundstück in Friedrichshain, das deshalb nicht ausgeschrieben wurde. Aber diese Vergabe unter Gesichtspunkten der „sozialen Stadtentwicklung“ ist eher eine Ausnahme.

Dabei erhöht sich der Druck auf den Grundstücksmarkt gewaltig. „Der Senat beschwört zwar die Berliner Mischung, aber die geht zunehmend verloren“, sagt der Forscher Arnt von Bodelschwingh von Regiokontext. Er hat die Wohnungsmarktberichte der Investitionsbank Berlin verfasst und mehrere innerstädtische Quartiere ausgemacht, die dem Druck einer wachsenden Zahl der Bewohner ausgesetzt sind. Sie liegen im südlichen Prenzlauer Berg, im südlichen und östlichen Kreuzberg und vor allem in Friedrichshain, fast flächendeckend. Vergleichsweise hohe Preise würden für Häuser bezahlt, obwohl deren Wohnungen zu geringen Preisen vermietet sind. Einige Käufer spekulierten offenbar auf steigende Mieten. „Das kann Gentrifizierungsprozesse verstärken“, sagt der Forscher.

Kann man diese Entwicklung aufhalten? Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) hat das versucht am Ufer der Spree von Friedrichshain-Kreuzberg. Weil der Bürgerentscheid Media-Spree ihn dazu zwang, beschnitt er die Dichte und das Volumen der geplanten Baumasse bei Bauvorhaben auf landeseigenen Grundstücken, um dem Ruf der Bürger nach freien Uferwegen Rechnung zu tragen. Damit aber auch in anderen Gebieten der Druck des Marktes nicht das Leben in den Quartieren erstickt, bedürfe es einer breiten „stadtentwicklungspolitischen Diskussion“ über den Einsatz des Liegenschaftsfonds und der Wohnungsbaugesellschaften zur Bewahrung der Berliner Mischung, sagt Schulz.

Ideen, wie dies geschehen könnte, gibt es: Kiezprojekten könnten Grundstücke per Erbpacht-Vertrag überlassen werden, Stiftungen aus der Alternativ-Szene wie „Bunte Häuser“ könnte der Erwerb von Immobilien angeboten werden. Auch die städtischen Wohnungsbaugesellschaften könnten einzelne Häuser aus ihrem Bestand für alternative Wohnformen und Kultureinrichtungen bereitstellen. Und der Liegenschaftsfonds könnte landeseigene Grundstücke für diesen Zweck bereitstellen, wobei diese alternative, nicht gewinnorientierte Nutzung in den Verträgen fest verankert werden müsste.

Denn oft verschleißen solcherart Experimente ihre Protagonisten – die Bewohner der Häuser wechseln oft oder die Strukturen verfestigen sich und lassen sich kaum noch vom Wohneigentum kleinbürgerlicher Prägung unterscheiden. Oder, wie im Fall Bethanien in Kreuzberg, dass sich plötzlich zwei Fraktionen von Künstlern, Besetzern und Polit-Aktivisten unversöhnlich gegenüberstehen. Unterstützt vom Bezirk setzten sich am Ende jene mit der „aufmüpfigen, gesellschaftskritischen hinterfragenden Position“ durch, wie Schulz über die Besetzer sagt. Bei den Mitgliedern des Künstlerhauses Bethanien, sagt Schulz, sei dies etwas aus dem Blick verloren gegangen. So wie allmählich die Freiräume für alternative Experimente verloren gehen – bis das Labor Berlin schließt.

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