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Adel berichtet (5): Melodien für Millionen

Stefan Stuckmann zeichnet auf, wie unser Redaktionspraktikant Cedric zu Guttenberg die Stadt erlebt.

Als diese Woche die Berliner Piraten die Streichung der Zuschüsse für die Deutsche Oper beantragt haben, ist mir vor Schreck gleich das Zwölf-CD-Set „Verdi“ aus der Hand gerutscht und so unglücklich in meine Tasche gefallen, dass mein Chef dachte, ich wollte es klauen. Als ich ihm die Umstände erklärt habe, hat er aber gleich angeboten, mir sein Fahrrad zu leihen, um auf dem Weg zum Zigarettenautomaten ein paar Stimmen aus dem Volk zu sammeln. Ich habe ihm stattdessen zwei Zigarren geschenkt und bin mit meinem neuen Segway-Scooter nach Neukölln gefahren, um jene unabhängigen Kulturschaffenden zu suchen, die die Piraten mit den vermeintlich frei werdenden 39 Millionen Euro fördern wollen.

Am Hermannplatz treffe ich den zwölfjährigen Fatih, den ich inzwischen auf eigene Rechnung als unabhängige Recherchekraft beschäftige – natürlich nur, so lange seine Deutschnoten nicht unter eine Drei minus rutschen! Ich nehme ihm den Döner aus der Hand und die fünf Hemden, die er für mich aus der Reinigung geholt hat, und sofort geht es los zu Ali, einem ambitionierten Graffiti-Künstler. Wir treffen Ali im Schacht der U8, wo er an einem feminismuskritischen Werk mit dem Titel „Ey Schlampe, bin ich Topficker“ arbeitet. Aber kann man davon leben? Ali verneint. Nebenbei ist er im Bereich Import/Export tätig und trägt seinen Teil zum deutschen Außenhandelsüberschuss bei. Wie viel Geld aber hat Ali im letzten Jahr vom Senat für seinen Dienst an der Berliner Kultur bekommen? Minus 800 Euro! Denn Ali bekam keine Förderung, hat aber 800 Euro für „Beschädigung öffentlichen Eigentums“ gezahlt. Durchaus mit Stolz: Fördergeld ist für Schwuchteln, diktiert er mir in mein iPad. Was Ali meint: Der Senat soll seine knappen Mittel lieber für die Förderung von Minderheiten einsetzen.

Ali bestätigt damit, dass die Piraten mit ihrer Kulturpolitik auf der Holzplanke sind, zwei Zentimeter vorm Abgrund. Große Kunst, das ist eine alte Wahrheit, entsteht immer nur aus Armut. Warum sonst ziehen so viele Kreative in prekäre Stadtteile, in denen es selbst an grundlegenden Errungenschaften westlicher Gesellschaften wie etwa einem Starbucks oder einem Vapiano mangelt?

Auf dem Weg zurück zur Straße gebe ich einem Straßenmusiker 50 Euro, damit er für mich ein paar Takte aus „Don Carlos“ spielt. Als er „Samba Pa Ti“ von Santana anstimmt, rufe ich in der Redaktion an und melde mich für den Rest des Tages krank. Es gibt Dinge, für die bin ich einfach nicht hart genug.

Hochachtungsvoll,

Ihr

Cedric

Stefan Stuckmann

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