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Berlin: Ärzte-Demo: Aus der Praxis auf die Straße

Zehntausende streikten / Protest zur WM möglich

Das Konzert der Trillerpfeifen vor dem Brandenburger Tor war bis zum Reichstag zu hören. „Ulla, es reicht!“, hatten sich die aus ganz Deutschland angereisten Ärzte auf ihre Jacken geklebt. Nach einer Schätzung der Polizei waren es rund 30 000 Teilnehmer – doppelt so viele wie am ersten Protesttag im Januar –, die am Freitag durch die Ost-City zogen, um gegen ausufernde Bürokratie, die von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) geplanten Honorarabzüge bei Überschreitung ihrer Arzneibudgets und für höhere Vergütungen zu demonstrieren. „Die Bürokratie ist das Allerschlimmste“, sagte eine Demonstrantin aus Schleswig-Holstein. „Wir müssen Papier mit nach Hause nehmen und beispielsweise nach der Arbeit dokumentieren, wie wir Patienten begrüßen, Proben nehmen und Endoskope reinigen.“

Auch in Berlin und Brandenburg blieben gestern viele Praxen geschlossen. Aufgerufen zu dem Protest hatten rund 50 ärztliche und zehn Patientenverbände. Vertreter von niedergelassenen Ärzten hatten am Morgen vor Journalisten von einer Bedrohung ihres Grundrechts auf freie Berufsausübung gesprochen, weil freiberufliche Ärzte „fertig gemacht“ würden. Ohne weitere Zugeständnisse der Politik wäre auch Protest während der Fußball-WM denkbar. Am Vorabend hatten rund 500 der etwa 7000 Berliner Kassenärzte auf einer Versammlung in der Technischen Universität über weitere Aktionen beraten, um ihre Forderung zum Beispiel nach höheren Honoraren durchzusetzen. Nach Ansicht der Mediziner wird ein Drittel ihrer Arbeit nicht bezahlt. So solle man die Praxis einfach schließen, sobald das Behandlungsbudget verbraucht sei. Das könnte bereits Anfang Juni für das zweite Quartal der Fall sein, sagten Ärztevertreter. Einen förmlichen Beschluss fassten die Mediziner nicht.

Die Proteste zeigen mittlerweile auch Wirkung auf die Bundespolitik. Das umstrittene Arzneispargesetz hängt im Bundesrat fest, weil einige Ministerpräsidenten Einspruch erhoben. Die darin enthaltene Bonus-Malus-Regelung wurde nachgebessert: Nun soll den Ärzten erst ab einer zehnprozentigen Überschreitung der Kostengrenze für Medikamente Honorar abgezogen werden, statt wie geplant ab fünf Prozent. Außerdem hat das Gesundheitsministerium wie berichtet zu einem runden Tisch über Bürokratieabbau eingeladen. Und man will das Honorarsystem der Ärzte gerechter machen. Das Problem liege aber vor allem bei den Kassenärztlichen Vereinigungen, die die Kassengelder auf die Mediziner verteilen, heißt es. Im Rahmen der Gesundheitsreform wolle man mehr Transparenz und Planungssicherheit bei den Ärztehonoraren schaffen. Das Geld müsse besser verteilt werden, denn mehr gebe es nicht, stellte Ministerin Schmidt klar. I. B./obs

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