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Berlin: Alfred Gobert (Geb. 1928)

Aber er ist keine Spitzweg-Gestalt, kein einsamer armer Phantast.

Martin Sperlich, ehemaliger Direktor der Staatlichen Schlösser und Gärten, läuft 1970 auf dem Hof des Jagdschlosses Grunewald an einem Graben vorbei und schaut hinein. In dem Graben arbeitet Alfred Gobert, der Hausmeister des Jagdschlosses. Die Männer stellen sich einander vor. Martin Sperlich fragt Alfred Gobert, ob dessen Name mit dem des Hamburger Senators Klee-Gobert zusammenhänge. Nein, sagt Alfred Gobert, und hält einen Vortrag über die Herkunft beider Namen. Viele Jahre später, Alfred Gobert ist jetzt Kastellan des Schlosses in Glienicke, erzählt Martin Sperlich ihm nach einem Besuch im Prado von dem Maler Pierre Gobert. Alfred Gobert hört aufmerksam zu, spricht dann seinerseits über den französischen Maler. Der studierte Fachmann staunt über den Autodidakten.

Alfred Gobert besitzt keinen Fernsehapparat. Er liest.

Läuft jemand des Abends die Königstraße entlang, vorbei am Torhaus des Schlosses Glienicke, kann er in einen erleuchteten Raum blicken, sieht Bücherregale vom Boden bis zur Decke und eine Stehlampe, die auf einen Sessel, ein Glas Rotwein, auf Alfred Gobert und ein aufgeschlagenes Buch scheint. Der Lesende unter der Lampe erinnert den Passanten an Bilder sonderbarer Menschen aus dem 19. Jahrhundert. Aber Alfred Gobert ist keine SpitzwegGestalt, kein einsamer armer Fantast, dem es an echtem Leben fehlt. Er weiß nicht nur alles über Glienicke, viel über preußische Geschichte und Gartenkunst, er klettert auch auf das Dach des Gewächshauses des Schlosses, wenn etwas am Sonnenschutz zu reparieren ist, er reinigt den Brunnen, tauscht Glühbirnen aus. Und er führt Schulklassen, archäologisch oder byzantinisch oder kunsthistorisch spezialisierte Akademiker oder auch Politiker durch das Schloss und den Park. Ihm zuzuhören ist ein Vergnügen, er spricht schön und lebendig. Diplomierte Fachleute befragen ihn. Und kommen niemals auf die Idee, wo in der Hierarchie der Verwaltung er tatsächlich steht.

Geboren wurde Alfred Gobert in Zeitz, in Sachsen-Anhalt. Mit 18, kurz vor Kriegsende, wird er Soldat. Arbeitet nach dem Krieg im Bergbauunternehmen Wismut, verliert die Arbeit, geht zu Fuß zurück nach Berlin. Führt in Wannsee ein Reformhaus, das heute noch existiert, wird Angestellter der Staatlichen Schlösser Berlin im Jagdschloss Grunewald, auf der Pfaueninsel und dann, ab 1976, in Glienicke.

„Argusauge von Glienicke“ nennt man Alfred Gobert. Unbestechlich, nicht zu täuschen, nimmt er Verborgenes, Verschüttetes, vage Zusammenhängendes, das sich bei genauerer Betrachtung als zusammengehörend zeigt, in den Blick. Bei Arbeiten im Schlosspark findet er Ziegel und erkennt, dass es sich um die einstige Beeteinfassung handelt. Er sieht, dass der Garten, so wie er jetzt angelegt ist, nicht den ursprünglichen Plänen entspricht.

Er ist Gründungsmitglied der Pücklergesellschaft, das ist ein Verein für die Erhaltung und Erforschung historischer Gärten. Er wird Schatzmeister und Schriftführer. Seine Bücher arbeitet er tatsächlich durch, Zettel mit Anmerkungen stecken in bald allen Bänden, Besucher fragen erstaunt: Wann liest er das eigentlich alles?

Zu Alfred Goberts 65. Geburtstag sagt Martin Sperlich: „Der pfiffige Hermes konnte freilich Argus, den Scharfblickenden, alles Sehenden durch Flötenspiel einschläfern, alle seine Augen, worauf diese zum prächtigen Schmuck der Rad schlagenden Pfauen wurden. Aber die Melodie ist noch nicht komponiert, die Sie, lieber Alfred Gobert, in Schlummer sinken lassen könnte.“

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