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Berlin: Am Bahnhof Zoo wird derzeit eine medizinische Ambulanz für Obdachlose aufgebaut

Guido Bergmann packt die Brille sorgfältig ins Etui. "Die ist fast so wie meine alte", sagt er erfreut.

Guido Bergmann packt die Brille sorgfältig ins Etui. "Die ist fast so wie meine alte", sagt er erfreut. Sein Lächeln gibt den Blick auf den letzten Zahn in seinem Mund frei. Die Gläserstärke stimmt zwar nur so ungefähr, aber eine neue kann sich er nicht leisten. "Eine Krankenversicherung habe ich nicht - alles weg", sagt Guido Bergmann.

Seine neue Sehhilfe konnte sich der Obdachlose aus einer Schachtel mit alten Brillen in der Ambulanz für Wohnungslose am Bahnhof Zoo heraussuchen. Seit Anfang des Jahres wird die medizinische Hilfsstelle im Hinterhof des Sitzes der evangelischen Kirche der Union, eingerichtet, seit ein paar Tagen läuft langsam der Publikumsverkehr an. Sobald die Ambulanz ihren vollen Betrieb aufgenommen hat - die offizielle Eröffnung ist am 16. Februar - können die Obdachlosen vom Bahnhof Zoo von dienstags bis sonnabends jeweils ab 14 Uhr in die Jebensstraße kommen, um sich medizinisch behandeln zu lassen, ihre Läuse loszuwerden, zu duschen, sich Wäsche abzuholen oder die Toilette zu benutzen. Denn selbst das Verrichten der Notdurft ist in dem gründlich sanierten Bahnhof inzwischen kostenpflichtig. "Der Bedarf für die Ambulanz ist da", sagt Elisabeth Rasch lakonisch, die die Hilfsstelle aufgebaut hat.

Die Ärztin hat seit Anfang der neunziger Jahre nach und nach die medizinische Hilfe für Wohnungslose begründet, zog zunächst mit dem Arztköfferchen durch die Straßen Berlins, gab Spritzen hinter Plakatwänden, wechselte Verbände in Wärmestuben und Nachtcafés. 1993 konnten Rasch und ihre Mitstreiter über einer Suppenküche in der Wollankstraße in Pankow die erste Ambulanz für Obdachlose gründen, am Zoo folgt jetzt die zweite. Die Hilfe, so ihre Philosophie, muss zu den Bedürftigen kommen, nicht umgekehrt. Oft haben die Obdachlosen bei ihrem harten, krankmachenden Leben auf der Straße nicht die Kraft, quer durch die Stadt zu einer medizinischen Behandlung zu reisen, zumal ihnen der Besuch bei einem Arzt um die Ecke wegen fehlender Krankenversicherung nicht möglich ist. Auch der Weg ins Krankenhaus endet für Obdachlose oft schon beim Pförtner - der schickt sie zurück auf die Straße. Außerdem haben viele Wohnungslose Angst, sich in "normalen" Praxen blicken zu lassen - da bleibt bei Krankheit nur der Weg in eine Ambulanz. Hierher kann jeder kommen, sein offenes Bein behandeln lassen, seine Krätze kurieren, sich Medikamente oder nur ein paar gute Worte abholen.

Wie bei einem Landarzt umfasse ihr Verhältnis zu den Patienten alle Lebensumstände, sagt Rasch. Zunächst läuft der Mietvertrag für die rund 100 Quadratmeter große Ambulanz in der Jebensstraße nur für ein Jahr, denn sie steht wie viele ihrer Patienten auf eher wackligen Beinen. Das Projekt sei fortlaufend auf Spenden angewiesen, betont Elisabeth Rasch, deren Gehalt und das ihrer zwei fest angestellten Mitarbeiter von der Caritas überwiesen wird. Dennoch plant die beharrliche Ärztin schon größere Dinge. Über AB-Maßnahmen will sie die Ambulanz ganztägig offenhalten, und sie kämpft für die Stelle einer fest angestellten Krankenschwester. "Ich bin sicher, dass wir das große Vorhaben schaffen", sagt Elisabeth Rasch.Wer die Ambulanz für Obdachlose am Bahnhof Zoo finanziell oder durch Sachspenden unterstützen will, kann sich an die Ambulanz an der Wollankstraße wenden (Tel. 485 39 58).

Klaus Wieking

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