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Regisseurin Anke Schiemann führt durch den Film – das Hauptstadtschild hat sie immer dabei. Das East Berlin in Pennsylvania ist eine der ältesten Kopien. Es wurde bereits 1764 gegründet.

© promo

Amerika-Dokumentation: Berlin, Berlin, wir fahren bis Berlin

Die Dokumentation "I (Heart) Berlin" bereist die amerikanischen Ableger der deutschen Hauptstadt. Sie entdeckt Klischees – aber auch viel Wärme und Gemeinsamkeiten.

Es ist um die deutsch-amerikanischen Beziehungen derzeit eher miserabel bestellt. Vielleicht kommt dieser Film deshalb zur rechten Zeit. Vielleicht kann er kitten, flicken und verbinden. Das transatlantische Verhältnis reparieren. Gemeinsamkeiten betonen. Dafür muss er natürlich erst mal fertig werden. Am Telefon sagt Anke Schiemann: „Wir befinden uns gerade im Schnitt. Aber bis zum Ende des Jahres schaffen wir das hoffentlich.“ Der Film, um den es geht, heißt „I (heart) Berlin“, Schiemann ist die Regisseurin. 80 Minuten soll ihre Dokumentation dauern und auf die Frage antworten, was das überhaupt ist: Identität, Herkunft, Heimat. Dafür erkundet sie mehrere Städte und Gemeinden in den USA, denen eines gemein ist: Sie alle heißen Berlin!

Dankbarkeit bei Friedrich dem Großen

Zwischen 1800 und heute emigrierten etwa sieben Millionen Deutsche über den Atlantik in die Vereinigten Staaten und gründeten etliche neue Berlins. Manche Orte wählten sich den Namen auch aus tiefer Dankbarkeit gegenüber Friedrich dem Großen, der mit preußischen Truppen im Unabhängigkeitskrieg ausgeholfen hatte. In diesen Enklaven hat Schiemann nach deutschen Wurzeln gesucht – und bunte, interessante Biografien gefunden, alte wie junge.

Zum Beispiel Maria Schlachbach, die in Berlin, Ohio, aus der größten Amish-Gruppe des Landes exkommuniziert wurde. Oder Evangeline, genannt Mutsie, 84 Jahre, aber energetisch und resolut wie eine Marktschreierin, sie führt „Brietzke’s Café“, einen Szenetreff in New Berlin, Texas. Ihre Urgroßeltern gehörten zu den ersten Auswanderern, die einem hessischen Prinzen in den Ölstaat folgten und dort siedelten. Schiemann trifft Cowboys, die einen deutschen Dialekt kauen, schwer und unverständlich, sie interviewt schwäbelnde Exilanten, Bestatter und Farmer, sie lauscht dem Linguistikprofessor Kai von Fintel, Begründer einer ökologischen Siedlung. Und ein Pastor erzählt ihr in hartem Amerikanisch, er halte seine Gottesdienste immer noch auf Hochdeutsch ab. Diese und andere Episoden verzahnen sich in der Dokumentation zu einem amüsanten Roadtrip, banjounterlegt und kitscharm, zu einer Reise durch die USA, die auch eine Reise der Regisseurin zu sich selbst ist.

Stolz auf die deutschen Wurzeln

Denn Anke Schiemann wohnt mittlerweile in Friedrichshain, aber ihr Leben, so sagt sie, drittelt sich: erst DDR, dann Westen, zuletzt London. Ihre Tante erklärte mal, Heimat sei da, wo man geboren sei. Schiemann entgegnete, also das könne ja nicht sein, dieses Land gebe es doch gar nicht mehr. „Es geht um mich, aber eben auch um eine Problematik, die meine Generation beschäftigt: Wir sind über mehrere Städte verstreut, leben mal hier und mal da – aber wir brauchen einen Kern.“ Dieser Gedanke liegt „I (heart) Berlin“ zugrunde, diese Überlegung, dass man vielleicht mehr sieht, wenn man Abstand hält. Dass man die deutsche Metropole Berlin erst versteht, wenn man in die amerikanische Provinz Berlin reist. 10 000 Meilen ist Schiemanns Team in den USA gefahren, im Juli 2013 haben sie die Aufnahmen beendet.

Wie berlinerisch, wie deutsch sind die amerikanischen Faksimiles am Ende? Schiemann sagt: „Es gibt einerseits einen unglaublichen Stolz auf die deutschen Wurzeln. Andererseits neigt man dazu, etwas aus der Ferne zu idealisieren. Ich hatte bisweilen das Gefühl, dass die amerikanischen Berliner ein deutsches Klischee leben.“ Im Januar will sie die Dokumentation in den diversen Berlins zeigen, und danach auch in deutschen Kinos. Parallel zum Schnitt sammelt Schiemann Spenden, um das Projekt zum Abschluss zu bringen. Eine Kurzversion wurde im German American Heritage Museum in Washington D.C. gescreent. Der Anlass hätte passender nicht sein können, zum 50. Mal jährte sich John F. Kennedys berühmtestes Zitat: Ich bin ein Berliner.

Im Internet: iheartberlin-documentary.com

Moritz Herrmann

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