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Ein Schöffe des Amtsgericht Tiergarten schrieb dem Tagesspiegel seine Eindrücke.

© Sonja Wurtscheid/dpa

Amtsgericht Tiergarten: Schöffe wirft Berliner Gericht mangelnden Infektionsschutz vor

In Gerichtssälen ist es oft eng und voll. Auch die Polizei kommt Menschen nah. Doch Richter und Mitarbeiter sollen den Infektionsschutz eher locker nehmen.

Von Fatina Keilani

Langsam fährt die Justiz ihren Betrieb wieder hoch; ab 1. Juni soll es wieder die normale Zahl an Sitzungen geben. Doch kann es gutgehen, wenn in relativ engen Gerichtssälen die Parteien dicht beieinander sitzen?

Ein Gottesdienst in Hessen, bei dem sich 107 Menschen trotz Abstands ansteckten, hat gerade erst wieder gezeigt, wie hoch das Infektionsrisiko ist. Insbesondere im Strafprozess sind meist viele Personen anwesend: Staatsanwalt, Verteidiger (oft mehrere), Richter, Schöffen, Zeugen, dazu Nebenklagevertreter, die Familie des Angeklagten, die Öffentlichkeit, die Presse.

zeug hatte sich kürzlich beim Tagesspiegel gemeldet, weil ihm beim Zugang zum Gericht mehrere Missstände auffielen: „Schon im Eingangsbereich (linksseitig Besucher und Zeugen, rechtsseitig Anwälte, Richter und Schöffen) war eine Traube von Menschen zur Sicherheitskontrolle“, schreibt der ehrenamtliche Richter, der anonym bleiben will.

„Ein Justizmitarbeiter führte für beide Seiten den Einlass durch. Ohne Schutz. Keinerlei Hinweise zum Abstand – keine Informationen für Besucher, Zeugen und Mitarbeiter. Ich war von den Eintretenden der einzige mit Mundschutz. Ich war verwirrt, da ich wochenlang jeden Kontakt vermieden habe und auf Distanz zu anderen Menschen gegangen bin. Der Justizvollzugsbeamte war den ankommenden Personen sehr nahe, weil jeder ja Ladung und Ausweis zeigen muss.“

Im Saal habe die gesamte Verhandlung ohne irgendeine Hygieneregel stattgefunden, wie zu Zeiten ohne Corona, nur dass der Vorsitzende es den anderen Richtern freigestellt habe, wohin sie sich setzen. Eine Schöffin setzte sich auf den Platz der Nebenklage, ansonsten saßen alle dicht an dicht.

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„Untersuchungsgefangener und Verteidiger redeten eng miteinander, drei Justizvollzugsbeamte saßen beisammen, Zuhörer saßen beisammen“, schildert der Schöffe dem Tagesspiegel. „Nirgends gab es einen Tropfen Desinfektionsmittel. In den öffentlichen Toiletten gab es zum Glück Seife, aber kein Papier, nur dieses Endloshandtuch, das man anfassen muss, um es weiterzuziehen.“

Gerichtssprecherin Lisa Jani kann die Schilderung so nicht bestätigen. Die Situation am Eingang sei verbessert worden, und in der Tat sei alles eine riesige Herausforderung. Das A und O seien das Händewaschen und die Einhaltung des Abstandsgebotes. Mit dem arbeitsmedizinischen Dienst seien Sitzpläne erarbeitet und Abstände ausgemessen worden.

„Der Richter hat in seinem Saal die Sitzungspolizei und kann selbst regeln, ob zum Beispiel Mundschutz getragen werden muss“, sagt Jani. „Wir haben im ganzen Gebäude strenge Hygieneregeln aufgestellt, die auch beachtet werden. Um das zu erreichen, sind wir sehr kreativ. Speziell um den Abstand einzuhalten, werden nun auch Presse- und Zuschauerplätze für die Verhandlung genutzt.“

Dass es kein Desinfektionsmittel gebe, sei hingegen gut - es sei zugleich ein wunderbarer Brandbescheuniger. Erst kürzlich war auf den Toiletten in Moabit Feuer gelegt worden.

Keine Maskenpflicht im Gerichtsgebäude

Ein Staatsanwalt berichtet, man dürfe jetzt wieder den Großteil seiner Arbeitszeit im Gebäude verbringen, einen Mundschutz müsse man dabei nicht tragen. In den Verhandlungen säßen Angeklagter und Verteidiger oft wirklich gefährlich nah beieinander, und auch die Justizwachtmeister stünden oft eng beisammen. Es gebe jedoch auch Schutzmaßnahmen wie Aufsteller aus Plexiglas als Spuckschutz.

Plexiglasscheiben sollen Personen in Berliner Gerichtssälen schützen, so wie hier im Hamburger Amtsgericht.
Plexiglasscheiben sollen Personen in Berliner Gerichtssälen schützen, so wie hier im Hamburger Amtsgericht.

© Georg Wendt/dpa

Über den laxen Umgang staatlicher Stellen mit der verordneten Hygiene hatte sich auch eine Leserin gewundert. Sie schrieb dem Tagesspiegel von zwei Polizeikontrollen, die sie beobachtet habe. Beide Male habe der Beamte weniger als einen halben Meter Abstand von der kontrollierten Person gehalten und sich regelrecht ins Auto gelehnt, um die Papiere der kontrollierten Person entgegenzunehmen.

Keine Maskenpflicht für Polizisten

Nachfrage bei der Polizei ergab: Polizisten sind nicht verpflichtet, eine Maske zu tragen. Sie sind aber „angehalten“, in allen dienstlichen Situationen die allgemeinen Hygieneregeln und den Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten.

Wenn das nicht möglich ist, soll eine FFP2- Maske getragen werden, besonders wenn Kontakte der Kategorie I („mehr als 15 Minuten beengter Kontakt oder direkter Kontakt zu Sekreten oder Körperflüssigkeiten“) bestehen.

Demnach steht es stark im Ermessen des Einzelnen, inwieweit er eine Schutzmaske trägt. Die Kontrolle etwa von Führerschein und Fahrzeugpapieren kann ja nicht mit 1,50 Metern Abstand stattfinden - so lange Arme hat niemand.

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