zum Hauptinhalt

Berlin: "Anderes Ufer": Schwule Traditionskneipe in Schöneberg ist geschlossen

Kein homosexueller Großstadtbewohner über 30, der nicht mindestens einen denkwürdigen Nachmittag hier verlebt hat, mit der besten Freundin, dem besten Freund oder dem Besuch aus der Heimat. Seit ein paar Tagen hängt eine Flittergardine im Schaufenster der Kneipe Anderes Ufer an der Schöneberger Hauptstraße.

Kein homosexueller Großstadtbewohner über 30, der nicht mindestens einen denkwürdigen Nachmittag hier verlebt hat, mit der besten Freundin, dem besten Freund oder dem Besuch aus der Heimat. Seit ein paar Tagen hängt eine Flittergardine im Schaufenster der Kneipe Anderes Ufer an der Schöneberger Hauptstraße. Drinnen sind die Tischchen zusammengeschoben, an der Tür klebt ein handgeschriebener Zettel: "Geschlossen".

Das Andere Ufer war eine schwule Generation lang Institution, fast so wie Kranzler und Einstein . Unzählige Beziehungen wurden an den runden Tischchen beendet, genauso viele gekittet - geknüpft hingegen vermutlich wenige. Die nächtlichen Jagdrituale, die durchtriebenen Spiele zwischen Verführer und Verführtem, hatten hier nichts zu suchen, dafür war das Ufer zu sehr Teil der taghellen Kaffeehausatmosphäre. Hier galt das Gespräch von gleich zu gleich, transparent, demokratisch, aufgeklärt. Vor allem transparent: Als das Andere Ufer, natürlich als Kollektivbetrieb, 1977 als erste offen schwule Kneipe seine Türen öffnete, war die freie Sicht durch die Schaufenster ein Novum - ein Kind der 68er und der anschließenden Homo-Emanzipation durch und durch.

Der Wirt hat sein Telefon abgemeldet, aus seiner Wohnung im gleichen Haus ist er ausgezogen. Vor einem guten Jahr hatte er das Café von Szene-Urgestein Gerhard Hoffmann übernommen, der zugleich das letzte verbliebene Mitglied des Gründungskollektivs war. Seit dem Verkauf durch Hoffmann scheint es mit dem Laden bergab gegangen zu sein. Szenegänger fanden außerdem reichlich Auswahl in Prenzlauer Berg und anderswo.

Ein schwuler Kaffeehausbetreiber aus Schöneberg hat bereits im Juni von wirtschaftlichen Schwierigkeiten beim Anderen Ufer gehört. Der Nachbarwirt erzählt von der letzten Pachterhöhung, die den letzten Wirt das Handtuch werfen ließ. Ein Szenegänger zuckt die Schultern: "Pleite gegangen, was sonst". Der Hausmeister sagt: "Da kommt was anderes rein". Was, weiß er auch nicht. Der Vermieter schweigt.

Die einzigen, die Auskunft geben könnten, sind derzeit nicht erreichbar. Das Aus für das Andere Ufer scheint endgültig zu sein.

Sebastian Schneller

Zur Startseite