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Der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, nachdem der Attentäter Anis Amri mit einem Lastwagen über den Platz gerast war.

© dpa/ Bernd von Jutrczenka

Angehörige eines Breitscheidplatz-Opfers: "Das hat bei mir größte Wut auf die Politik ausgelöst"

Durch den Anschlag auf dem Breitscheidplatz verlor Astrid Passin ihren Vater. Sie ärgert sich auch heute noch über Politik und Behörden. Ein Interview.

Von Sabine Beikler

Frau Passin, Sie sind regelmäßig im Breitscheidplatz-Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus. Wie ist Ihre Bilanz?

Sie sind sehr bemüht in der Aufklärung. Mit der Zeit sind mir erst die Regeln geläufig worden, die hinter so einem Ausschuss stecken. Ich habe den Eindruck, dass der Ausschuss sehr eng untereinander arbeitet. Ich habe mit den Fraktionen einzeln gesprochen und ihnen erzählt, was mir als Angehörige wichtig ist.

Was ist für Sie wichtig?

Mein Hauptinteresse ist der Tattag am 19. Dezember. Was ist da geschehen? Warum hat es so lange gedauert, bis eine Terrorlage ausgerufen wurde? Das dauert aber noch, denn der Fahrplan des Ausschusses sieht diesen Fokus erst später vor. Für uns Angehörige ist das unglücklich. Wir können so nie abschließen.

Welche Fragen sind noch nicht geklärt?

Für mich waren die Vernehmungen des LKA-Chefs Steiof, des früheren Polizeipräsidenten Kandt und von Frank Henkel wichtig, weil ich hören wollte, wer die politische Verantwortung hatte. Ich wollte diese Personen einfach hören. Ich bin darüber gestolpert, dass der Ausschuss nicht die Aufgabe hat, die „Schuldfähigkeit eines Einzelnen“ aufzuklären. Das sollte doch Sinn und Zweck des Ausschusses sein. Ich will schon wissen, wer falsch agiert hat.

Und was ist bisher Ihre Wahrnehmung?

Referatsleiter und LKA-Beamte sind für mich kleinere Räder in der Maschinerie. Ich möchte wissen, was Personen in Führungspositionen angeordnet hatten. Da sind aber noch viele Fragen offen. Es war doch ab 2015 nach den Attentaten in Frankreich stark zu erwarten, dass auch Deutschland von Terroranschlägen möglicherweise betroffen sein könnte. Es war doch nur die Frage, wann es auch hier knallt. Mir ist nicht klar, warum man da nicht gut vorbereitet war, wenn tatsächlich ein terroristisches Ereignis eintritt. Die Abfolge der Kompetenzen muss vorher geklärt sein. Die Terrorlage ist in Berlin erst vier Stunden nach dem Anschlag ausgelöst worden. Da war die Aussage des LKA-Chefs Steiof für mich sehr wichtig: Er sagte, für ihn habe das Ereignis auf dem Breitscheidplatz sehr schnell wie ein Anschlag ausgesehen.

LKA-Chef Steiof hat sich in einer Pause direkt an Sie gewandt und sich bei Ihnen entschuldigt. Wie wichtig war diese Geste?

Es hatte sich schon zuvor ein LKA-Referatsleiter bei mir entschuldigt und kondoliert. Als erste Begegnung ist das eine schöne Geste. Man zollt dem Angehörigen den nötigen Respekt und die Achtung für das, was Angehörige der Opfer erlitten haben. Auch wenn das schon fast zwei Jahre her ist, hat diese Geste einen sehr hohen Stellenwert. Denn man sieht, dass sich jemand auch mal menschlich äußert. Das hatte ich bei Herrn Kandt völlig vermisst. Und auch die frühere Berliner Staatsschutzchefin Jutta Porzucek hat mich mit ihrer Art, ihr Bedauern vorzulesen, nicht überzeugt. Man baut bei solchen Auftritten automatisch erst einmal eine Aversion auf.

Astrid Passin ist Sprecherin der Hinterbliebenen der Opfer des Terroranschlages vom Breitscheidplatz.
Astrid Passin ist Sprecherin der Hinterbliebenen der Opfer des Terroranschlages vom Breitscheidplatz.

© imago/Christian Ditsch

Ich verstehe schon, dass die Sicherheitsbehörden überlastet waren. Aber trotzdem ist doch die Politik dafür verantwortlich, diese Missstände abzubauen und Maßnahmen zur Terrorabwehr früher umzusetzen. Und nicht erst dann, wenn es passiert ist.

Hatten Sie nach dem Terroranschlag, bei dem Ihr Vater ermordet wurde, ausreichend Hilfe von staatlicher Seite erhalten?

Man hatte den Eindruck, alle seien nach dem Anschlag noch im Weihnachtsmodus. Der Opferbeauftragte Roland Weber war der Erste, der Hilfe im Januar 2017 anbot. Die Lebensgefährtin meines Papas hatte mir den Hinweis gegeben. Erst durch die Berichterstattung in den Medien wussten viele Betroffene, wohin sie sich wenden können. Als Angehöriger ist man mit dieser Situation erst einmal komplett überfordert. Für mich war das Schlimmste, wie ich das meiner damals neunjährigen Tochter beibringe, dass der Opi auf so brutale Weise getötet wurde.

Wie haben Sie das geschafft?

Am nächsten Morgen nach dem Anschlag habe ich sofort meine Familie alarmiert und diese gebeten, schnell nach Berlin zu kommen. Zeitgleich war eine Freundin bei mir, die sich um eine Hilfe im sozialpsychiatrischen Dienst bemüht hatte. Diese Mitarbeiter schienen überfordert und haben mir nicht helfen können. Sie wirkten jung und unerfahren. Ich habe sie wieder weggeschickt. Dann habe ich meine Kleine aus dem Hort abgeholt und musste mich zusammenreißen, nicht meine eigenen Emotionen sofort zu zeigen. Wir haben mit der Familie zusammengesessen und behutsam meine Kleine auf die Nachrichten vom Vortag, die sie noch gehört hatte, aufmerksam zu machen. Wir haben es spielerisch gemacht über ihr Gitarrenspiel. Wir haben ihr die Wahrheit gesagt. Und dann ist sie aus dem Zimmer gelaufen und hat in ihrem Zimmer angefangen zu malen. Sie hat sofort ein schwarzes Kreuz gemalt.

Vor der großen Gedenkveranstaltung vor einem Jahr sagten Sie, es sei überfällig, Anerkennung zu erfahren. Wie geht es Ihnen heute kurz vor dem zweiten Jahrestag?

Wir wussten damals nicht, was passiert ist. Ich wusste noch nicht einmal, ob mein Vater wirklich tot ist. Irgendwie hat man da ja auch noch Hoffnung geschöpft, er könne vielleicht doch in einem Krankenhaus liegen. Das hat bei mir die größte Wut auf die Politik ausgelöst. Den ersten offiziellen Kondolenzbrief habe ich von Bundesminister Heiko Maas erhalten. Aber das war viel zu spät. Die Politik hatte sich schon am 20. Dezember in der Gedächtniskirche getroffen und die Toten betrauert. Das konnten wir Angehörige nicht nachvollziehen. Wir waren nicht eingeladen. Viele von uns wussten ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal, dass der Angehörige verstorben ist.

Wann konnten Sie erstmals mit der Politik sprechen?

Zuvor war im Februar 2017 das Treffen im Schloss Bellevue mit dem Bundespräsidenten Gauck. Für uns hatte es hier die richtige Form. Ich hatte vom Regierenden Bürgermeister eine Einladung ins Rote Rathaus erhalten. Das war im April 2017. Aber ich hatte da nicht die Gelegenheit bekommen zu sprechen. Dort sprachen die Politiker. Ich hatte bei allen offiziellen Anlässen das Gefühl, man solle sich nicht äußern, dürfe keine Kritik üben. Aber ich wollte mich gerne äußern. Ich bin auch ganz zum Schluss der Veranstaltung mit Herrn Müller zusammengetroffen. Und ich habe lange mit dem Innenstaatssekretär Akmann gesprochen. Danach gab es auch viele Schriftwechsel und mehrere Treffen mit ihm. Diese Tischsituation wie im Rathaus gab es auch im Kanzleramt mit Angela Merkel. Warum stellt sich die Politik nach solchen Anlässen in die erste Reihe und legt vor uns Kränze ab? Das ist ein völlig falscher Umgang mit Opfern und Angehörigen von Terror. Wir sind diejenigen, die dort stehen müssen und dürfen. Es sind unsere Toten, die wir betrauern.

Mit welchen Gefühlen erwarten Sie den zweiten Jahrestag des Anschlags?

Auch hier macht die Politik wieder Vorgaben. In einem Brief des Opferbeauftragten Franke wird erklärt, dass es eine Kranzniederlegung gibt, dass die Gedächtniskirche den ganzen Tag über offen steht und wir die Möglichkeit haben, dort zu trauern. Und dann stand da noch, dass die Reisekosten nicht übernommen werden können. Das wirft einen erst einmal wieder zurück. Aufgrund der Kritik aber wird es dann „pragmatische Einzelfalllösungen“ geben. Aber wir müssen erst einmal wieder darum bitten. Warum lernen die Behörden nicht daraus?

Das Gespräch führte Sabine Beikler.

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