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Berlin: Angeklagter schloss sich den Weg frei

Mann entkommt aus dem Maßregelvollzug – kurz vor seinem Prozess. 39-Jähriger Neuköllner sollte sich wegen Sprengstoff-Arsenals verantworten.

Erneut ist einem mutmaßlichen Straftäter eine Flucht aus dem Krankenhaus des Maßregelvollzugs gelungen. Der 39-jährige Daniel S. ist kurz vor Beginn seines Prozesses vermutlich mit Nachschlüsseln entwichen, hieß es am Dienstag im Saal 820 des Moabiter Kriminalgerichts. „Er ist in der Klinik nicht auffindbar“, sagte der Richter nach einem Telefonat mit einem Abteilungsleiter der Karl-Bonhoeffer-Klinik in Reinickendorf. Von Daniel S., der möglicherweise an Wahnvorstellungen leidet, gehe aus Sicht der behandelnden Ärzte keine Gefahr für die Bevölkerung aus.

Der gelernte Pyrotechniker, der sich als „Reichsbürger“ bezeichnet, soll in einem ehemaligen Kriegsbunker in Neukölln zentnerweise explosive Stoffe gehortet haben. Seit April war er im Maßregelvollzug untergebracht. Am frühen Dienstagmorgen sei es ihm gelungen, sich „herauszuschließen“, bestätigte die zuständige Senatsverwaltung für Gesundheit. Die genauen Umstände, wie er an die entsprechende Technik zur Öffnung der Schlösser kam, werde derzeit geklärt. Vermutet wird, dass Daniel S. mit einem Nachschlüssel die Station verließ. Er sei zum Keller vorgedrungen und durch ein Fenster eines gesicherten Technikraums entkommen. Die Fahndung läuft.

Vor einem Jahr hatte die Polizei das Gelände des Pyrotechnikers durchsucht und dabei zahlreiche Fässer mit Chemikalien, zehn Kartons mit jeweils 500 Sprengkapseln sowie neun Kisten mit Bodenleuchtkörpern entdeckt. Der Mann soll auf dem Areal an der Neuköllnischen Allee einen Handel mit Technik für Feuerwerk, Chemie und Sprengungen betrieben haben. Geringe Mengen durfte er mit Genehmigung des Landesamtes für Arbeitsschutz besitzen. Nun rückte eine Spezialfirma an, um die Massen fachgerecht zu entsorgen.

Die Ermittler waren eher zufällig auf das mutmaßlich illegale Lager an der Neuköllnischen Allee gestoßen. Andere Behörden hatten die Polizei bereits Wochen zuvor um Amtshilfe gebeten. Daniel S. zahlte seit immerhin 15 Jahren keine Steuern. Es gab Streit mit dem Finanzamt. Als ein Verfahren lief, soll er Mitarbeitern des Amtsgerichts Tiergarten sowie des Bezirksamtes gedroht haben, er werde auf Vollstreckungsversuche mit Gewalt reagieren. Beamte, die bei ihm auftauchen, hätten mit „Konsequenzen“ zu rechnen, wenn nicht er selbst, dann gäbe es „andere, die sie plattmachen“, hatte er laut Anklage angekündigt.

Daniel S. bezeichnet sich als „Reichsbürger“. Sein vermülltes Gewerbegebiet betrachtete er als exterritoriales Gebiet. Auf einem Schild stand: „Republik Freies Deutschland Hoheitsgebiet“. Er soll sich zu einer Gruppierung zählen, die die Bundesrepublik nicht anerkennt. Deshalb ignorierte er wohl auch den Fiskus. Er lebe „in einer anderen Rechtsrealität“, vermutete sein Anwalt. Die Senatsverwaltung teilte mit, S. gelte als jemand, der Konflikte und Gewalt eher vermeidet und sich möglicherweise wehren könnte, „wenn er sich durch behördliche Maßnahmen in die Enge getrieben fühlt“.

Es gibt wohl Hinweise, dass Daniel S. wahnkrank sein könnte. Er kam deshalb in den Maßregelvollzug. Dort werden psychisch kranke oder suchtkranke Täter per Gerichtsbeschluss untergebracht. Es können Verurteilte sein oder Beschuldigte, die auf ihren Prozess warten.

Daniel S. ist der erste Ausbrecher in diesem Jahr. Zuletzt war Ende November 2012 der 23-jährige Nadim O. bei einem Arztbesuch aus der Rettungsstelle des Helios-Klinikums in Buch geflohen. Im Oktober 2010 und im Juli 2011 war der 33-jährige Sömnez B., ein verurteilter Vergewaltiger, Räuber und Dieb, aus dem Maßregelvollzug entwichen. Bei einer Flucht hatte er Helfer.

Im Prozess vor dem Kriminalgericht gegen Daniel S. geht es um versuchte Nötigung sowie unerlaubtes Betreiben eines Lagers für explosionsgefährliche Stoffe. Ein psychiatrischer Gutachter soll zur Frage der Schuldfähigkeit des Pyrotechnikers gehört werden. Die Richter hoffen, dass Daniel S. am Dienstag wieder aus dem Maßregelvollzug vorgeführt werden kann.

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