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Wenn der Fußballplatz zum Tatort wird. Polizisten im Jahnsportpark nach dem Attentat auf Hobbyfußballer.

© dapd

Exklusiv

Angriff auf Hobby-Fußballer: Augenzeugenbericht: "Mann, da sitzt einer und schießt auf uns!"

Drei Tage ist es her: Ein Sonntagnachmittag im Jahn-Sportpark, Hobbyfußballer treffen sich zum wöchentlichen Kick - plötzlich fallen Schüsse. Unser Autor war einer der Spieler, die plötzlich um ihr Leben fürchten mussten.

Von Kai Röger

Sonntag 14 Uhr, im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Wie jeden Sonntag treffen sich hier zwei Freizeitmannschaften zum entspannten Kick, bei dem es um nichts geht, als Spaß zu haben und sich dabei möglichst nicht zu verletzen. Die Teams sind eingespielt, man kennt sich untereinander, zieht nicht durch und vermeidet Grätschen. Es geht um nichts, jede Woche aufs Neue.

An diesem Sonntag scheint die Sonne, es ist nicht zu warm und nicht zu kalt –ideales Fußballwetter. Gegen 15 Uhr ertönt ein lauter Knall aus Richtung der Cantianstraße, ungefähr von dort, wo die Häuserreihen einen Durchgang zur Hochbahn bilden. Der Knall hört sich an wie eine Vergaserfehlzündung oder ein Böller. Niemand achtet darauf. Später erzählt einer der Spieler, er hätte gespürt, wie etwas an seinem Kopf vorbei flog. Aber zu diesem Zeitpunkt ergibt der Lufthauch überhaupt keinen Sinn.

Das Spiel geht weiter. Auf dem Halbfeld zu den Beachvolleyballplätzen hin postieren sich die Spieler in Erwartung einer Ecke. Dann folgt der zweite Schuss. Der Knall ist derselbe, auch die Richtung, aus der er zu kommen scheint. Nur folgt ihm jetzt ein trudelndes Zischen wie bei einem Feuerwerkskörper, einem „Heuler“ oder einem „Ufo“. Das Zischeln ist nah, sehr nah. Es zieht über die Köpfe hinweg Richtung Stadion.

Kurz nach 15 Uhr ist der Spaß vorbei. Ein Spieler, der eben noch die Ecke verteidigen wollte, liegt jetzt am Boden, hält sich den Oberschenkel. Es fühle sich an wie ein sehr harter Schlag oder Tritt, der seinen rechten Oberschenkel getroffen hätte, wird er später sagen. Dann sieht er den Einschuss: Das Projektil hat zwei gleichgroße Löcher an der Außenseite seines Oberschenkels hinterlassen. Zwischen der Ein- und der Austrittsstelle bildet sich ein blauer Bluterguss unter der Haut. Die Wunden bluten kaum. Die Mitspieler kommen zusammen. Es dauert einen Moment. bis jemand das Unfassbare ausspricht: „Da schießt jemand. Runter vom Platz!“ Und: „Holt die Polizei!“

Bilder vom Tatort:

Bislang war das Spiel auf dem anderen Halbfeld noch in vollem Gange. Dass ein Spieler am Boden liegt ist auch trotz gegenseitiger Rücksichtsnahme keine Seltenheit. Aber jetzt merken auch die anderen, dass etwas nicht stimmt. Immer mehr Rufe, den Platz zu verlassen und Deckung zu suchen, sind zu hören. „Das waren Schüsse!“ „Jemand ist getroffen worden!“ „Runter!“ Einige rennen quer über das Feld in Richtung der schützenden Bäume außerhalb des Sportplatzes, andere kauern sich hinter die Begrünung, die die zwei Großfelder voneinander trennt. Einige scheinen die Situation noch immer nicht erfasst zu haben, sie stehen irritiert auf dem sich leerenden Feld, begreifen nicht, dass jemand auf sie geschossen hat, dass jemand getroffen wurde, dass gerade eben etwas passiert ist, dass hier nicht passieren darf. Nicht in Prenzlauer Berg. Nicht auf ihrem Fußballplatz.

Mitspieler schleifen den Verletzten vom Platz

Eine Gruppe ist nicht vom Platz gerannt. Vier, fünf Mann sind auf dem Feld geblieben, da wo ihr Mitspieler zusammen gebrochen ist. Sie haben als erstes gesehen, was passiert ist, haben die anderen gewarnt und sind geblieben als klar war, dass jemand auf sie geschossen hat und noch nicht klar war, ob weitere Schüsse folgen. Sie haben ihren verletzten Mitspieler unter den Armen gepackt und vom Platz geschleift. Hinter der hohen Absperrung bei den Bäumen haben sie ihn hingelegt. Um sie herum sammeln sich jetzt auch die anderen Spieler. „Wieso ist die Polizei nicht noch nicht da?“ „Was ist passiert?“ „Wie geht es ihm?“„Hat jemand einen Krankenwagen gerufen?“ „Wer hat ein Handy?“

Eigentlich müsste heillose Panik herrschen, aber es ist seltsam ruhig. Eine surreale Atmosphäre, man erzählt sich gegeneinander, was man gehört hat und meint gesehen zu haben. Man schaut auf die Verletzung, ein glatter Durchschuss. Aber irgendwie anders als im Film. Unspektakulärer. Unwirklicher. Der Verletzte hält sich den Oberschenkel, erträgt aber die Schmerzen gut. „Das war kein Luftgewehr“, die Spekulationen beginnen. „Der Schuss muss von einem der Häuser gekommen sein“, „Mann, da sitzt einer und schießt auf uns, das ist doch total irre!“

Bilder vom Tatort:

Die Polizei fährt mit drei Streifenwägen auf das Gelände, bremst kurz vor der Menschentraube ab, so dass Staub aufgewirbelt wird. Platzabsperren, Zeugen befragen, versuchen, herauszubekommen, was hier eigentlich passiert ist. Jetzt erst trifft der Krankenwagen ein. Einige Spieler reden dem Verletzten gut zu, einer versucht seine Familie zu erreichen, ein anderer flachst: „Das nächste Mal bezahlst du erst deine Schulden, bevor du zum Spiel kommst.“ Galgenhumor. Unpassend. Aber was passt jetzt eigentlich?

Um 16 Uhr ist der ganze Platz geräumt. Die Kripo ist da, vernimmt Zeugen, filmt den Tatort, fotografiert aus allen Winkeln. Das Projektil ist noch immer nicht gefunden worden. Plastikkegel stehen auf dem Spielfeld, markieren den Tatort, kurz hinter der Neunmeterlinie. Da wo bei einer Ecke die Spieler einen Pulk aus Angreifer und Verteidiger bilden. Wo sich im unübersichtlichen Spiel eine dicht beieinander stehende Gruppe firmiert, die sich kaum bewegt. Ein leichtes Ziel.

Am nächsten Tag sind die Hütchen verschwunden. Die Polizei ermittelt, hat inzwischen wohl ein Projektil gefunden. Vom Täter gibt es sonst noch keine Spur, heißt es. Es ist 15 Uhr, die Sonne scheint nicht zu heiß oder zu kalt. Ideales Fußballwetter. Die Jugendmannschaften des SV Empor trainieren hier, bis abends die Mannschaften der Medienliga den Platz übernehmen und ihre Spiele austragen. Darunter werden auch einige Spieler sein, die am Tag zuvor auf dem Platz standen, als die Schüsse fielen. Keiner von ihnen wird das Spiel verpassen.

Kai Röger ist Chefredakteur des Stadtmagazins Zitty.

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