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Berlin: Annelies Baecker (Geb. 1925)

Aber sie fanden Möglichkeiten, hier und da etwas hinzuzuverdienen

Es roch anders. Nach Bohnerwachs und Hundekuchen, nach Petroleum und Kernseife. Und es sah anders aus. Fässer standen auf dem Boden, Kisten stapelten sich in den Ecken, vieles wurde gewogen und lose verkauft. Wenig in den Seifenläden hatte bis in die sechziger Jahre hinein mit den danach aufkommenden duftenden Drogeriemärkten zu tun. 1951 übernahmen Annelies Baecker und ihr Mann Harry einen solchen Laden in der Steglitzer Südendstraße.

Annelies hatte ein Buch angelegt. Links, auf der Seite der Ausgaben, notierte sie für den 21. Januar 1953 177,80 Mark, rechts, auf der Seite der Einnahmen 54,02 Mark. Aber sie fanden Möglichkeiten, hier und da etwas hinzuzuverdienen. Im Hinterzimmer, der „Rollstube“, gab es eine Mangel, die die Frauen für ihre Laken und Tischdecken stundenweise mieten konnten. Kurz vor Silvester wurde diese Wäscherolle zum heimlichen Verkaufstresen für Feuerwerkskörper. Da das Geld dennoch vorn und hinten nicht langte, ging Harry für die Firma Sunlicht Reklameplakate kleben. Damit die Plakate haften blieben, mussten sie nass sein. Dazu faltete er sie an den Abenden mit Annelies auf dem Wohnzimmertisch, legte sie dann in die Badewanne und fuhr am nächsten Morgen mit dem Packen auf dem Fahrrad von Geschäft zu Geschäft.

Nach und nach lief der Laden besser, sogar einen VW-Käfer konnten sie sich jetzt leisten. Annelies kümmerte sich um fast alles, nahm die Ware entgegen, stand an der Kasse, führte die Bücher und versorgte den Haushalt. Manchmal kam ihr kleiner Sohn Bernd und stellte sich, als sei er der Inhaber eines kolossalen Kinderverkaufsladens, hinter den Tresen: „Was hätten Sie denn gern, meine Dame?“ Die Dame wand sich ein wenig, denn sie brauchte nicht nur Produkte zum Putzen. „Hol doch mal lieber deine Mutter“, sagte sie, und Annelies gab ihr ein paar der „Frauendinge“, die zuvor diskret in weißes Papier eingepackt worden waren.

Ab 1965 erledigte sich dieses Problem, aus „Seifen Baecker“ wurde das Selbstbedienungsgeschäft „Drogerie Baecker“. Es gab jetzt mehr Parfüms in niedlichen Flakons, auch Kurzwaren und Küchenartikel, und die Kunden konnten vor dem Kauf all dies in ihren Händen hin und her drehen. Lehrmädchen wurden ausgebildet, später sogar eine Verkäuferin angestellt. Annelies und Harry begannen zu reisen, an die Adria, nach Rumänien, auf die Insel Mallorca, an die dänische Küste. Doch während sie sich in alle Himmelsrichtungen bewegten, saß Annelies’ Schwester in Leipzig fest. Beide vereinbarten Treffen auf Autorastplätzen. „Darf ich mich dazusetzen?“, fragte die eine konspirativ die andere. Sie begannen ein unauffälliges Gespräch und tauschten am Ende ihre Taschen, die einander genau glichen. In der West-Tasche waren Kaffee und Schokolade, in der Ost-Tasche Leberwurst und Gemüse aus dem Garten.

Ab 1974 waren aus der Südendstraße fast alle kleinen Geschäfte verschwunden. Auch bei den Baeckers gingen die Umsätze zurück, sie nahmen Tabak, Zeitungen und Getränke mit ins Sortiment, arbeiteten mehr als 60 Stunden in der Woche. Am Montag, 13. November 1989 wollten sie den Laden für den Ausverkauf öffnen. Am 12. sollte ein privater Verkauf für Freunde und Bekannte stattfinden. Annelies schloss die Tür auf und erblickte Leute, die sie nie zuvor gesehen hatte. Es wurden immer mehr, bis eine lange, disziplinierte Schlange vor dem Laden stand. Die geladenen West-Berliner steckten in den Staus der überfüllten Stadt, die Ost-Berliner hatten den Weg gefunden.

Im Dezember 1992 starb Harry. Annelies verreiste jetzt mit ihrer Schwester, mit ihrem Sohn, ihrem Enkel.

Nach ihrem Tod kam ihre Asche in eine Urne aus Salz. Sie wird heute in der Nordsee versenkt, an derselben Stelle, an der vor 20 Jahren Annelies Harrys Urne ins Wasser hinabgelassen hatte. Tatjana Wulfert

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