zum Hauptinhalt
Mund auf. Bei Kidsdocs tut man vieles, damit der Besuch nicht zum Trauma wird. Berlin hat mit dem „Kinderzahnpass“ ein bundesweit einmaliges Projekt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Arztbesuch: Kindern die Angst vorm Zahnarzt nehmen

Zahnarztbesuche sind für kleine Kinder häufig mit großer Angst verbunden. Viele Praxen lassen sich etwas einfallen, um die Kleinen abzulenken

Finlay wirkt wie hypnotisiert von den bunten Comicfiguren, die durchs Fernsehbild wackeln. Er selbst liegt ausgestreckt auf einer Zahnarztliege und stiert konzentriert auf den Bildschirm, der über ihm an der Decke hängt. „Prima machst du das – mutig wie ein Löwe“, sagt die Zahnärztin. Der Sechsjährige hat den Mund sperrangelweit geöffnet.

Finlay ist Patient bei den „Kidsdocs“, einer Praxisgemeinschaft, die sich auf die Behandlung von Kindern spezialisiert hat. Zwei Tage zuvor ist er in der Schule bei einem Sturz auf den Mund gefallen. Heute wird überprüft, wie fest seine Zähne sitzen und ob die offene Wunde im Mund gut verheilt. „Beim Besuch unseres Hauszahnarztes hat er sich geweigert, sich behandeln zu lassen“, sagt sein Vater Eberhard Klauck. Bei den Kidsdocs sind kleine Patienten besser abgelenkt. Denn dort gehen sie an Bord: Die Räumlichkeiten sind einem riesigen Flugzeug nachgeahmt. Es gibt ein Cockpit, Pilotensitze und Bullaugen, durch die man in die Behandlungsräume blicken kann.

Mehr als die Hälfte aller Sechsjährigen in Berlin haben oder hatten bereits Karies. „Dabei haben 20 Prozent der Kinder sogar 80 Prozent des Karies“, sagt die Zahnärztin Dagmar Wilke vom Kompetenznetzwerk für Kinderzahnheilkunde in Berlin. Gründe seien ungenügendes Putzen und zu viel Süßes. „Viele Eltern kommen hierher und sind verzweifelt, weil ihr Kind nur Apfelsaft trinken will oder sie glauben, dass es mit vier Jahren schon selbstständig seine Zähne putzen kann. Was Kinder brauchen, ist mehr Aufklärung“, sagt Zahnärztin Wilke.

Deshalb gibt es seit Oktober vergangenen Jahres den bundesweit einmaligen „Berliner Kinderzahnpass“, der das kinderärztliche Untersuchungsheft ergänzt. Er soll den Eltern eine Übersicht geben, wann ihr Kind zur Kontrolle zum Zahnarzt sollte. Außerdem gibt es Tipps zur Zahnputztechnik. Ziel ist, dass die kleinen Berliner vom ersten Milchzahn bis ins Schulalter halbjährlich zur zahnärztlichen Kontrolle gehen.

In Berlin gibt es einige Praxen, die mit Unterwasserwelten oder futuristischem Image auf ein kindgerechtes Ambiente setzen. Sie sind bunt und mit spielerischem Schnickschnack ausgestattet. Bei der Behandlung setzten die Kinderzahnärzte auf unterschiedliche Konzepte: Sie arbeiten mit kleinen Instrumenten, die der Anatomie des Kindermundes entgegenkommen. Kinderhypnose, Musik, sprechende Handpuppen oder kleine Zaubereien stehen außerdem auf dem Programm. Eine leckere Vorbetäubung, Lachgas und Beruhigungssaft sollen die Behandlung erleichtern und eine Vollnarkose vermeiden. In der Praxis „KU64“ am Kurfürstendamm etwa wurde Anfang des Jahres eine Erlebniswelt für Kinder mit Kletterwand, Rutsche und Bällebad eröffnet, eine Karieshöhle sorgt für Aufklärung.

Finlay verzieht das Gesicht und presst die Lippen aufeinander. Jetzt ist Feingefühl gefragt. „Du bekommst ein großes Foto von deinem Mund“, sagt die Ärztin. „Der Elefantenrüssel hier oben macht das Foto“. Es bedarf vieler sanfter Worte, bis die Mini-Röntgenplatte in Finlays Mund steckt. Dann hat es der Sechsjährige schon geschafft. Auf dem Rollband vor dem Cockpit-Empfang liegen Geschenke: kleine Geldbörsen, Flugzeuge und Badeenten. Finlays Wahl fällt auf ein Flugzeug, das man zusammenstecken kann. Sein Vater atmet auf: „Das lassen wir gleich fliegen, wenn wir draußen in der Sonne sind.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false