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Berlin: Auch Dubai ist dabei

Dreißig Sender aus aller Welt bereiten sich im Regierungsviertel auf den Wahlsonntag vor.

Von Thomas Loy

Die Japaner haben sich noch nicht gemeldet. Eigentlich komisch, findet Earny Thiemann, der jetzt auf Krücken angehumpelt kommt, weil sein Knie kaputt ist. In Bonn waren die Japaner immer dabei. Aber vielleicht ist in Berlin ja doch alles anders als in Bonn. Die Portugiesen fehlen auch noch. Gestern fiel den Franzosen von TF1 ein, dass in Deutschland ja bald Wahlen sind, und sie doch gerne ein paar Bilder hätten und einen Schnittplatz. Thiemann, den alle Earny nennen, grinst in seinen dunklen Backenbart. Um sich über Zuspätkommer aufzuregen, ist er schon zu lange im Geschäft. 22 Jahre sind es.

Seit 1994 organisiert Thiemanns Firma „Cine-plus“ für die EBU – die European Broadcasting Union in Genf – den technischen Ablauf der Wahlübertragungen. Rund 30 Fernseh- und Hörfunksender haben sich bei ihm angemeldet, von Kanada bis Dubai. Dafür bekommen sie in der Grundausstattung ein kleines Büro mit Schnittplatz, die Fernsehberichterstattung des ZDF zum Mitzeichnen und Übertragungszeit auf einer der 12 Satellitenantennen. So ab 17 Uhr am Wahlsonntag wird es dann spannend, sagt Thiemann. Im „Feed-Room“, wo die Satellitenschüsseln mit „Futter“ – nämlich Bildern – gespeist werden, bricht ein babylonisches Sprachgewirr aus. Im 10-Minuten-Takt werden bis zu zwölf Beiträge parallel an die Heimatsender überspielt. Zehn Reporter hängen am Telefon und fragen, ob alles angekommen ist und der Ton okay war; hinter ihnen warten schon die nächsten zehn. Insgesamt 3000 Journalisten haben sich für die Wahl akkreditieren lassen.

Heute aber, am Freitag, ist noch alles ruhig im Paul-Löbe-Haus nördlich des Reichstags. Technik wird angeliefert und verkabelt. Ein Band aus kleinen, fensterlosen Zellen durchzieht das lange Atrium. Das sind die Reporterbüros. Der Feed-Room sitzt am Kopf des weißen Bandwurms. Hier ist schon alles fertig für den Sendestart – zwei Tage vor der Wahl.

Drüben im Reichstag aber sind sie noch am Kabelziehen, Dekorieren und Verteilen von hunderten Scheinwerfern. Auf der Plenarebene haben die deutschen Sender das Sagen, allen voran die Öffentlich-Rechtlichen. Das gilt sogar für die anliegenden Straßen und die Grünfläche vor dem Reichstag. Die muss unbedingt frei bleiben für die Kameraschwenks hinüber zum Kanzleramt. Niemand möchte da plötzlich eine Pommesbude sehen.

Das ZDF hat sich in dem Restaurant auf dem Dach des Reichstags eingenistet. Die ARD sitzt südlich vom Haupteingang in der Abgeordnetenlobby. Bis auf die wagenradgroßen Lüster wurden die Räume völlig leer geräumt und neu eingerichtet, das Erste hat sogar seinen eigenen Boden verlegt. So groß waren die Wahlstudios noch nie, schwärmen die Produktionschefs.

Beim ZDF liegen merkwürdige telefonbuchartige Wälzer herum, gespickt mit Ziffernfolgen, n, kryptische Zeichen. „Interna, Disposition“, druckst Produktionsleiter Norbert Tannenberg und macht eindeutige Zeichen: Finger weg! Aber sonst erzählt er gern. Es ist immerhin seine erste Bundestagswahl, sein „Gesellenstück“. Und eine riesige Herausforderung, schwieriger noch zu meistern als eine Fußball-WM, meint Tannenberg. „Man weiß ja nie, was passiert, wo es plötzlich Tränen gibt und wo Freudentaumel.“ Rund 20 Außen-Reporter mit 10 Kamerateams müssen koordiniert werden – die meisten sind in den Parteizentralen unterwegs, ein Team wird in München bei der CSU sein.

„Wenn wir den Kontakt zu einem Reporter verlieren, ist das ein kleiner Gau.“ Ein Super-Gau wäre, wenn die gesamte Kommunikation im „MP3“ ausfiele, das ist der momentan größte Produktions-LKW des ZDF. Gerade biegt er am Paul-Löbe-Haus um die Ecke und kann nicht weiterfahren, weil ein Anhänger im Weg steht. Tannenberg kennt die MP3-Maße aus dem Kopf: 20 Meter lang, bis zu 4,5 Meter breit. Der MP3 ist ein technisches Monstrum, das ihm einige Ehrfurcht abringt. Hier laufen alle Bild- und Tonsignale zusammen. Drinnen wird der Regisseur mit seiner Mannschaft sitzen und die Sendung fahren. Wenn eine Regieeinheit ausfällt, gibt es noch zwei in Reserve.

Tannenberg steht schon unter Strom, aber er lässt sich nichts anmerken. Seit Februar plant er das Großereignis Bundestagswahl. Anfangs, als er den riesigen Berg von offenen Fragen vor sich sah, habe er schon ein paar schlaflose Nächte gehabt. Die Nervosität komme dann erst wieder kurz vor der Sendung.

Der Megasupergau für Fernsehleute aber ist, wenn der Strom ausfällt. Earny Thiemann hat das schon mal erlebt, beim EU-Gipfel in Berlin. Zwei Stunden ohne Saft. Ein Debakel. Bei der Wahl nutzt er statt der Bewag lieber den Stromversorger ZDF. Die haben diverse Dieselaggregate angemietet.

Da klingelt wieder Earnys Handy. Ein türkischer Sender will wissen, wo er seinen Ü-Wagen abstellen soll. Inzwischen sind auch die Vorposten der BBC eingetroffen. Nur die Japaner, die lassen nichts von sich hören.

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