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Berlin: Auf der Standspur

Von Thomas Loy Peter Eckhardt ist ein etwas vernuschelter Hamburger Hafenarbeiter. Einer, der Container stapelt oder Säcke, auch nachts.

Von Thomas Loy

Peter Eckhardt ist ein etwas vernuschelter Hamburger Hafenarbeiter. Einer, der Container stapelt oder Säcke, auch nachts. Er kann zupacken und gilt bei seinen Kollegen trotzdem als „Spinner". Eckhardt teilt sich nämlich Autos mit anderen Menschen. Carsharing nennt sich das. Nicht, dass sich Eckhardt kein Auto leisten könnte. Er findet Carsharing einfach gut. Es stehen schon genug Autos in den Straßen herum, bei ihm zu Hause in Altona. Stimmt, sagen die Kollegen und düsen mit ihren 7er BMW raus aufs Land.

Hauptversammlung der Stattauto Carsharing AG in Berlin: Von den 1379 Aktionären sind nur 28 gekommen - fast alle sind sendungsbewusste Carsharing-Anhänger, denen es um die Sache geht, weniger um ihr schwindsüchtiges Kapital. Sie wollen wissen, wie es weitergeht. Vor anderthalb Jahren stand das Unternehmen am Abgrund. Das Management hatte die Kontrolle über die Finanzen verloren. Nur weil 1000 Kunden auf ihre Kapitaleinlage verzichteten, dem Unternehmen somit rund 1,2 Millionen Mark schenkten, ging es weiter. Peter Eckhardt schenkte sein Geld nicht - ihm schenkt ja auch keiner was - er hat mit seinem 1260 Stattauto-Aktien schon genug Geld investiert. Für die meisten bezahlte er 9 Mark, später 6 - heute werden sie mit rund 97 Cents gehandelt. Ein Handel findet allerdings kaum noch statt.

Carsharing ist was für Andersdenkende, für Leute mit Öko-Spleen oder Sparfimmel - 14 Jahre nach Gründung von „Stattauto Berlin“ hat sich an diesem Exoten-Image wenig geändert. Carsharing ist ein normales Dienstleistungsunternehmen und zugleich immer noch ein idealistisches Experiment mit ungewissem Ausgang.

Norbert Kunz vom Vorstand legt die Bilanz für 2001 vor. Darin finden sich erste Anzeichen einer Konsolidierung. Der Verlust wurde von 1,8 Millionen auf rund 900 000 Mark halbiert. Personal wurde entlassen, Buchungszentrale und Kfz-Wartung ausgelagert. Der Umsatz schrumpfte um 10 Prozent, die Zahl der Kunden um 2000.

Viele Nutzer ließen sich von der neu eingeführten Monatsgebühr schrecken - sie liegt zwischen 5 und 20 Euro. Dadurch wurden die Karteileichen aktiviert. Eines der größten Probleme von Stattauto ist nach wie vor, dass zu viele Kunden zu wenig Auto fahren. Etwa 10 Prozent der Nutzer machen 50 Prozent des Umsatzes.

Gerade engagierte Stattauto-Fans entwöhnen sich mit der Zeit vom Auto, weil sie bei Stattauto genau wissen, was eine Autofahrt kostet, oder weil ihnen der Weg zum nächsten Stellplatz zu mühsam wird. Christina Müller, Nutzerin und Aktionärin „der ersten Stunde“, bucht nur noch einmal im Jahr ein Fahrzeug. Günstiger wäre in ihrem Fall das Taxi. „In Berlin braucht man kein Auto, nicht mal Stattauto“ - für das Unternehmen eine fatale Einschätzung.

Architekturstudent Richard Rath nutzt Stattauto zwar öfters für Transporte, macht aber immer nur kurze Fahrten - das bedeutet: wenig Einnahmen für das Unternehmen bei hohen Verwaltungskosten. Jeder der knapp 8000 Stattauto-Kunden macht einen Umsatz von durchschnittlich 625 Mark im Jahr. Zu wenig, um richtig Geld zu verdienen.

Durch ein Zusammengehen mit der Bahn AG will Stattauto neue Kunden gewinnen und das Angebot wieder attraktiver machen. Bis Mitte 2003 sollen Bahncard-Inhaber in Städten über 250 000 Einwohner zu einheitlichen Tarifen und einer genormten Chipcard Autos ausleihen können. Ein ehrgeiziges Ziel, denn Stattauto ist nur in Hamburg, Berlin und Rostock aktiv. Insgesamt gibt es in Deutschland 76 verschiedene Carsharing-Organisationen in 200 Städten. Diese Vielfalt ist ein wesentlicher Hemmschuh für die Breitenwirkung der Idee.

In diesem Jahr will Stattauto eine schwarze Null schreiben. Aufsichtsratschef Berthold Kleßmann lobt die saubere Bilanzführung des Vorstands - zum ersten Mal in der Geschichte der AG sei ein Budget auch eingehalten worden. Und die Kleinaktionäre fügen sich nach einem kurzen Schlagabtausch wegen des Verzichts auf die externe Wirtschaftsprüfung in ihr Schicksal. Schließlich kennt hier jeder jeden, man duzt sich, und alle sitzen irgendwie im gleichen Boot. Früher als erwartet ist die Hauptversammlung beendet und Kleßmann fragt unter den Aktionären, ob noch jemand Lust hat, einen zu trinken. Kleinaktionär Eckhardt ist leider schon auf dem Heimweg.

Weiteres im Internet unter: www.stattauto.de

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