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Berlin: Auf der Strecke geblieben

Hagen Kleint und seine Freundin wollten nach Dortmund zur Mayday-Party. Die Bahn hat das verhindert. Die beiden saßen Stunden in einem defekten ICE fest. Schadensersatz gab es erst, als sie mit Klage drohten

Hätte man ihnen gleich einfach nur ihr Geld zurückgegeben, dann hätten sie vielleicht geschimpft auf die Bahn und ihr Pech, aber das wäre es gewesen. Stattdessen hat man sie hingehalten, und nun sind sie sauer. Hagen Kleint und seine Freundin Madlen Hannusch fühlen sich schlecht behandelt von der Deutschen Bahn AG. Dabei ist die ihnen etwas schuldig geblieben: die gebuchte Fahrt von Berlin Zoo nach Dortmund am 30.April um 19 Uhr 55 im ICE 482.

Hagen Kleint und Madlen Hannusch sind zwei von den rund 600 Bahnreisenden, die an dem Freitag, dem ersten warmen Frühlingstag, von 20 Uhr bis Mitternacht in dem Zug festgehalten werden, der wegen eines technischen Defekts im Bahnhof Heerstraße liegen bleibt. Und sie sind zwei von denen, die einen Anwalt eingeschaltet haben.

„Das muss man doch technisch und logistisch regeln können, die Leute aus dem Zug zu holen“, sagt Hagen Kleint. Es gebe Feuerwehr, Polizei, das Technische Hilfswerk, das sei doch alles da, mitten in Berlin. Außerdem sagt Kleint, dass auf der rechten Seite des Zuges ein totes Gleis lag. Da hätte man aussteigen können. Er sagt, die von der Bahn hätten Glück, dass in den Waggons keine Panik ausgebrochen ist. Die Voraussetzungen dafür waren da. Weil der Strom ausfiel, ging die Klimaanlage nicht, es war stickig. Die Toiletten funktionierten nicht, es stank, weil einige Leute trotzdem mussten. In einem Wagen lag ein Baby auf dem Boden und schrie. Kleint sagt, viele ältere Leute hätten gar nicht gut ausgesehen und dass die Bahn einen Sanitäter hätte schicken müssen. Er sagt, wenn man im Auto vier Stunden im Stau steht, kommt der ADAC und guckt, ob es allen gut geht.

Kleint und seine Freundin wollen nach Dortmund zur „Mayday“, eine riesige Technoparty, nur für eine Nacht. Mit Fahrt und Eintritt ist das eigentlich zu teuer für den jungen Haushalt. Aber sie fahren trotzdem. Es ist ihr erstes Vorhaben, seit Madlen schwanger war, seit mehr als anderthalb Jahren. Um auf den kleinen Fabian, elf Monate, aufzupassen, reisen ihre Eltern eigens aus Cottbus an. So ein Aufwand für fast nichts am Ende.

Die beiden sitzen im Raucherabteil, da ist es nicht voll, die meisten sind Geschäftsreisende. Horrorgeschichten über ICE-Fahrten werden erzählt. Einer kennt jemanden, der vor Jahren neun Stunden im Zug festsaß, weil es so geschneit hatte. Kleint und Hannusch haben nichts zu erzählen. Es ist ihre erste ICE-Reise.

„Gleich nachdem wir in Zoo losgefahren sind, hat es mächtig geruckelt und der Zug ist stehen geblieben“, sagt Madlen Hannusch. Da hatten sie gerade ihre Sitzplätze gefunden. Nach einer Dreiviertelstunde ungefähr die erste Durchsage. Es gebe technische Probleme. Die Notbeleuchtung wird angestellt. Irgendwann die Durchsage, dass es im Speisenwagen Erfrischungen gebe. Madlen Hannusch macht sich auf den Weg und bekommt zwei Fingerbreit Cola im Pappbecher. Dann ruckelt es irgendwann wieder, es kommt die Durchsage, dass der Zug nicht anfahren wird, wenn die Passagiere nicht sofort die Türen schließen. Es ist das Erste, was die seit langem hören. Sie fahren nach Spandau, steigen um in einen Ersatzzug, da ist es etwa Mitternacht – die Zeit, zu der Hagen Kleint und Madlen Hannusch auf der Technoparty in Dortmund angekommen sein wollten.

Und nun? Trotzdem fahren oder zurück nach Hause? Sie fahren. Auch, weil sie nicht gewusst hätten, wie sie vom Zoo nach Hennigsdorf kommen sollen. „Am Ende hätte man ein Taxi nehmen müssen“, sagt Madlen Hannusch. Als sie in Dortmund ankommen, gibt man ihnen Pünktlichkeitsgutscheine im Wert von 25 Euro pro Person, gültig für zwei Monate. In der Westfalenhalle ist die „Mayday“-Party fast vorbei. Um sechs Uhr nehmen sie den Zug nach Berlin. Am nächsten Tag haben sie den Bericht über die „Mayday“ auf Viva gesehen. „Da haben wir hier auf dem Sofa gehockt und geweint“, sagt Madlen Hannusch. „Irgendwo musste der Frust ja hin.“

Im Radio hörten sie später, dass mehrere Passagiere sich beschweren und ihr Geld zurückfordern. Reisegutscheine gibt es bei Verspätungen automatisch, sagte ein Bahnsprecher auf Anfrage. Geld-Zurück müsse individuell beim „Kundendialog“ beantragt werden. Die Kollegen dort seien aber sehr kulant, sagt der Sprecher. Madlen Hannusch hat auf drei DinA4-Seiten mit der Hand einen Brief an den „Kundendialog“ geschrieben, die Pünktlichkeitsgutscheine beigelegt, die sie nicht gebrauchen können, und gefragt, ob man bitte die 225 Euro für die Fahrkarten und zweimal 50 Euro für die Tickets zurückhaben könne. Die Bahn antwortete prompt. „Es tut uns Leid, dass Sie einen so negativen Eindruck von der Bahn bekommen mussten.“ Aber: „Ihrem Wunsch der Kompensation Ihrer Kosten können wir leider nicht nachkommen.“ Die Bahn schreibt außerdem, dass durch die Panne auch „uns als Unternehmen“ ein „beachtlicher wirtschaftlicher Schaden“ entstanden sei – und legt einen Reisegutschein im Wert von 50 Euro bei. Gültig für ein Jahr.

Von anderen aus dem Zug, man hatte Telefonnummern getauscht, haben sie den Namen eines Anwalts erfahren; Hagen Kleint war inzwischen im Fernsehen. Es ist auch wieder ein Zug liegen geblieben, am Wochenende bei Dallgow. Wieder mussten die Fahrgäste stundenlang warten. Am Mittwoch rief eine Frau vom Kundendialog in Hennigsdorf an. Man werde Hinfahrt- und Ticketkosten erstatten. Madlen Hannusch sagte, sie werde den Anwalt fragen. Am Donnerstag rief eine andere Dame an. Sie bot 330 Euro.

Hagen Kleint und Madlen Hannusch überlegen jetzt, ob sie zugreifen – ehe die Bahn es sich noch mal anders überlegt.

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