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Berlin: AUF DEUTSCH GESAGT Neue Unworte erfinden

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Wenn Politiker reden, dann wollen sie für ihre Anliegen werben. In der Regel. Manchmal aber drücken sie sich um klare Worte, weil es den Wähler verprellen könnte. Wie Politiker sprechen, und was sie wirklich meinen – künftig alle zwei Wochen von Brigitte Grunert.

Metaphern sind Glückssache. „Wenn Sie sich schon die Spendierhosen anziehen, dann sollten diese Spendierhosen nach fachlicher Kompetenz verteilt werden“, wetterte die GrünenFraktionschefin Sibyll-Anka Klotz am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Man muss sich das bildlich vorstellen, wie die Spendierhosen zuerst angezogen und dann verteilt werden. Frau Klotz erregte sich wieder einmal über die Zusammensetzung des Lotto-Beirats (drei Senatoren, drei Abgeordnete von SPD, CDU und PDS). Den Ärger, dass die Grünen und die FDP nicht dabei sind, verbarg sie unter dem Wortschleier „fachliche Kompetenz“. Und sie mutmaßt „Klientelismus“. Damit kann sie das Urheberrecht auf ein neues Unwort beanspruchen.

Das Lieblingsunwort aller aber ist Kompetenz. Die Finanznot „stellt wachsende Ansprüche an die politische und moralische Problemlösungskompetenz der staatlichen Einrichtungen und der Gesellschaft als Ganzes“, sagte Finanzsenator Thilo Sarrazin in seiner Haushaltsrede. Was hat ihm St. Bürokratius da nur eingeflüstert? Vermutlich wollte Sarrazin ganz einfach an die Verantwortung der Politiker appellieren.

Große Worte werden in Vorsicht gehüllt. FDP-Fraktionschef Martin Lindner verhedderte sich im „Gestrüpp der Wirtschaftsförderung, die gießkannenartig Geld unter die Leute bringt“. Auch Haushaltsexperte Carl Wechselberg (PDS) verdunkelte mehr, als er erhellte: „Die Nichtbewegung des strukturellen Defizits ist keine Alternative.“ Aha! So redet einer vom Abbau des Schuldenberges, der weiß, dass dieser immer schneller wächst.

Arme Iris Spranger. Die Haushaltsexpertin der SPD versprach: „Wir konsolidieren den Haushalt mit Blick auf die Zukunftssicherung unserer Kinder.“ Oh, sie ging sogar „darüber hinaus“ – das heißt einen Schritt zurück: „Das Sparen darf auch die jetzige Generation der Erwachsenen nicht zu sehr belasten und muss sozialverträglich sein.“ Und dann zauberte sie aus einer Belastung eine „sozialverträgliche“ frohe Botschaft: „Für immerhin 50 Prozent der Eltern werden die Kita-Gebühren um keinen Cent erhöht.“ Das Reizwort Studiengebühren hat die rot-rote Koalition eh versteckt. Frau Spranger: „Die Einführung eines Berliner Studienkontenmodells, welches das Erststudium gebührenfrei hält, nutzt dem Land und den Universitäten. Nur bei deutlichen Überschreitungen der Regelstudienzeiten kommt es zur Erhebung von Gebühren, die sich das Land und die Universitäten teilen.“ Entschleiern wir den Satz: Nicht der Senat und die Unis zahlen, sondern sie kassieren von Studenten.

Iris Spranger freute sich über „den Erhalt der Berliner Symphoniker“. Ach, den Unterschied zwischen Erhalt (im Sinne von bekommen) und Erhaltung (Bewahrung) werden sie wohl alle nicht mehr begreifen. Erst nach dem Erhalt des Bescheides über Zuschüsse aus dem Haushalt kann sich das Orchester über seine Erhaltung freuen. Angriffslustig meinte Lindner, Frau Spranger habe „nicht wirklich kapiert“. Hat sie denn unwirklich kapiert, virtuell? Oder wirklich nicht? So ist das mit den Modewörtern. Die unsinnigsten haben die größte Anziehungskraft. Den meisten Schwulst hatte die Presse übrigens „verschriftlicht“ vor sich. Und das Wortungetüm „verschriftlicht“ ist wieder der Klotzschen Kreativität zu verdanken.

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