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Auf Deutsch gesagt: Prekär und unverständlich

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Armut ist bedrückend, Kinderarmut erst recht. Erst neulich stand das Thema Kinderarmut wieder im Abgeordnetenhaus in einer Aktuellen Stunde zur Debatte. Die Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Die Linke) wies darauf hin, dass allein in Berlin 178 000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren „in Hartz IV Haushalten“ leben, bundesweit seien es 2,6 Millionen. So stand es im Redemanuskript. „Besonders betroffen sind die Kinder von Alleinerziehenden, von prekär Beschäftigten und von allen, die auf soziale Transfers angewiesen sind“, sagte die Senatorin.

Es ist schon ein Jammer, wie die armen „Hartz IV Haushalte“ in der Luft hängen. Man könnte beinahe denken, das Fehlen der Bindestriche sollte dies unterstreichen, würden Bindestriche nicht so oft nach Lust und Laune gesetzt oder weggelassen. Klar, in einem Hartz-IV-Haushalt hat es jeder schwer. Doch man wüsste gern, was unter prekär Beschäftigten zu verstehen ist. Während unsereiner darüber nachdenkt, kann er natürlich nicht zuhören und zuckt erst wieder zusammen, als die Senatorin erklärt, ebenso wichtig wie die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I sei ihr „eine realistische Bestimmung des soziokulturellen Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern“.

Was ist denn das nun wieder, das soziokulturelle Existenzminimum und dessen realistische Bestimmung? So viel zur Ausdrucksarmut vor lauter Beweisen der Fachkompetenz.

Prekär bedeutet bekanntlich unsicher, misslich, schwierig. Mit prekär Beschäftigten sind offenbar Menschen in unsicheren, womöglich befristeten oder stundenweisen Arbeitsverhältnissen gemeint, deren Verdienst nicht zum Leben reicht, so dass sie zusätzlich auf Sozialleistungen angewiesen sind, in der Fachsprache gesagt, auf soziale Transfers.

Zum Glück greift der Senat nach den Worten der Senatorin mit einem „Maßnahmenpaket“ ein, „wo Einkommensarmut zum sozialen und kulturellen Ausschluss führt oder den Bildungsprozess benachteiligter Kinder behindert“. Man ahnt nun, was es mit dem soziokulturellen Existenzminimum auf sich haben könnte. Es soll über das materielle Existenzminimum hinaus die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sichern. Doch Vorsicht. Wer sich sachkundig macht, stellt fest, dass diese Definition in den Regelsätzen schon berücksichtigt ist. Mit der realistischen Bestimmung des soziokulturellen Existenzminimums meint die Senatorin also schlicht die Erhöhung der Regelsätze, die sie an anderer Stelle ihrer Rede auch für notwendig erklärt hat.

Ach, die armen Politiker sind auf Experten angewiesen und haben keine Zeit oder keine Lust, deren Expertendeutsch zu übersetzen. Sonst würden sie wohl einfacher, anschaulicher und packender reden, eben für Laien verständlich.

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