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Berlin: Aufschlag Willi

Reihenhäuschen, Rasengrün und Ruheständler: Unsere treffsichere Serie führte uns diesmal nach Siemensstadt – auf einen Tennisplatz

Von Ariane Bemmer

Die Straßen gefegt, die Autos gepflegt, die Häuser verputzt, auf den Fensterbrettern stehen Kakteen oder Blumen in weißen Keramikübertöpfen. Klein, nett, ordentlich sieht’s hier aus. Wie eine Spielzeugstadt. Dabei hat hier alles echte Tradition: Wir sind in Siemensstadt.

Hier flog der Pfeil hin, an die Ecke Lehnter Straße/Schuckertdamm.

Es ist still an diesem Nachmittag, nichts los. Eine Kirche steht da, ein hoher rechteckiger Klinkerturm mit Uhr dran, links und rechts Gemeindegebäude, zweigeschossig, mit Fenstern, deren beigefarbene Lamellenfensterläden offen stehen. Vor dem Turm ein kleines Plätzchen, links eine Birke, davor ein Schaukasten mit Zetteln, die einen Kinderkleiderbasar-Termin und einen Ausflug nach Paretz ankündigen, rechts eine Eiche, in ihrem Schatten eine Bank mit einem kleinen glänzenden Schild an der Lehne „gestiftet von Frau Maria Zillmann“. Auch sonst ist alles da, was man so zur Ausstattung eines durchschnittlichen Straßenbildes braucht: das Verkehrsschild, an dem ein Mülleimer hängt, ein Briefkasten, gegenüber eine Telefonzelle, eine von den alten gelben. Bäume stehen am Straßenrand, und zwischen die Häuserreihen breitet sich jede Menge gepflegtes Rasengrün . Ein paar Vögel zwitschern, in der Ferne rauscht Verkehr über eine Straße. Und ganz in der Nähe hört man Tennisbälle, die aufschlagen.

Schräg gegenüber von der Kirche befindet sich der „Siemens Tennisklub blau-gold von 1913 e.V.“. Durch ein niedriges Vereinsgebäude, das neu aussieht, mit glänzenden Plastiktürgriffen, geht man hindurch zu den Plätzen und trifft dort höchstwahrscheinlich Vilhem Zibret, den sie hier Willi nennen. 61 Jahre ist er alt, gebürtiger Slowene, 33 Jahre hat er bei Siemens gearbeitet, Schalter für Hochspannungsleitungen gebaut. Zweimal pro Woche steht er hier für jeweils zwei Stunden und schlägt seine Bälle. Im Sommer auf einem der sieben Außenplätze, im Winter auf den zwei Plätzen, über die eine Traglufthalle gestülpt wird. Etwa 300 Mitglieder hat der Verein. Es könnten aber ruhig mehr sein, sagt Willi.

Auf Platz 5 spielt eine Familie. Eltern gegen Sohn und Tochter. Die Mutti hat gerade ihren Ball gerade ins Netz gehauen, 0:30 ruft ihr der Sohn herüber.

Eine Familie spielt Tennis, mitten in der Woche, am hellen Nachmittag. Siemens, Wirtschaft, Flaute, schießt es einem durch den Kopf: arbeitslos, ist das erste, was einem dazu einfällt. Spielen Arbeitslose Tennis?

Siemens, einst Auftraggeber für die Menschen in der Siedlung, an der so bekannte Architekten wie Walter Gropius seit 1930 mitgebaut haben, wo fast alle Straßenn den Herren von Siemens oder sonstigen Pioniere der Elektrizität ein Angedenken wahren, unterhält um die Ecke am Rohrdamm 83 noch ein riesiges Verwaltungsgebäude. Ansonsten wird gespart, sagt Willi. Und Haselhorst wurde verkauft. Die Siedlung, in der er wohnt. Da hinten, sagt er und weist die Richtung mit dem Arm.

Jeden Morgen schaut er aus dem Fenster und erkundet das Tennis-Wetter, dabei sieht er das Werk, sein Werk, das ihn so lange ernährt hat. Mehr als drei Jahrzehnte hat er bei Siemens zugebracht, Schalter für Hochspannung hergestellt, seine Schwester auch, ebenso sein Vater. Seine Frau hat er dort kennen gelernt.

Dass hier jeder Nachbar auch Kollege war, war nie ein Problem, sagt Willi. Man muss ja nicht miteinander reden.

Willi sagt, hier in der Gegend sei schon was los. Dahinten sei etwa ein Sportclub, auch Siemens, mit Fußballplatz. Aber fürs Kino müssen die Leute in die Stadt, sagt Willi. Und mit der Stadt meint er Spandau.

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