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Berlin: Aus dem Schuldensumpf

Nur eine bedingungslose Teilentschuldung macht Berlin finanzpolitisch handlungsfähig Von Claus Matecki und Dieter Scholz

Kein Finanzsenator kann sich am eigenen Schopf aus dem Schuldensumpf ziehen. Diese schmerzhafte Erfahrung musste Thilo Sarrazin schon in der ersten rot-roten Legislaturperiode machen. Trotz Ausgabenkürzungen, Arbeitszeitverlängerung, Lohnkürzung und Personalabbau im öffentlichen Dienst verfehlte der Sparkommissar sein Ziel. Die Gesamtverschuldung stieg von 46 auf über 60 Milliarden Euro. Diese Entwicklung macht deutlich: Wer in konjunkturell schlechten Zeiten spart, spart das Land kaputt.

Ausgabenkürzungen ziehen Einkommens- und Arbeitsplatzverluste nach sich. Die Berliner Wirtschaft ist in den letzten fünf Jahren geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zählt zu den niedrigsten in der Republik. Heute arbeiten 32 000 Menschen weniger in der Stadt als 2002. Die Folge dieser wirtschaftlichen Talfahrt waren hohe Steuerausfälle. Im Ergebnis führt die Sparpolitik also zu mehr und nicht zu weniger Schulden. Eine solche Finanzpolitik hat mit Generationengerechtigkeit vor dem Hintergrund des demografischen Wandels nichts zu tun. Wichtige Zukunftsinvestitionen in Stadtentwicklung und Verkehrsinfrastruktur unterbleiben.

Die jährlichen Investitionen in Berlin liegen unter zwei Milliarden Euro. Das ist ein Armutszeugnis für die international beliebteste Stadt Deutschlands. Auch das Bundesverfassungsgericht ignorierte in seinem Urteil zur Notlage-Klage Berlins diese grundlegenden ökonomischen Zusammenhänge. Stattdessen empfahlen die Richter einen verschärften Sparkurs. Gespart werden soll überall dort, wo Berlin im Vergleich zu anderen Städten Deutschlands einen sogenannten Ausstattungsvorsprung hat (bei Hochschulen, der Kultur und in der Kinderbetreuung). Mit diesen Vergleichen werden Äpfel mit Birnen verglichen. Berlin war immer etwas anders und ist es auch noch.

In einem Punkt hat die Stadt jedoch ähnliche Probleme wie andere Bundesländer: Sie ist vom Reichtum ihrer privaten Haushalte abhängig. Dieser Aspekt war den Karlsruher Richtern keine Beachtung wert. Der Reichtum privater Haushalte wird durch wirtschaftliches Wachstum gebildet. Wirtschaftswachstum bildet sich aber nur an attraktiven Standorten, für die wiederum investiert werden muss. Berlin hat nur dann eine Zukunft, wenn es in die Lage versetzt wird zu investieren. Ohne Zukunftsinvestitionen ist die Fortsetzung des Negativtrends garantiert. Hier liegt die Verantwortung des föderalen Systems und des Bundes.

Eine bedingungslose Teilentschuldung Berlins wäre die Voraussetzung für die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Stadt. Wenn das Verfassungsziel der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland ernst genommen werden soll, sind weitere Finanzhilfen unumgänglich. Aufgrund seiner extremen Steuerschwäche kann Berlin keine leistungsfähige Infrastruktur aus eigener Kraft aufbauen. Wenn sich nun die Föderalismuskommission II mit einer Neuordnung der Länder-Finanzbeziehungen beschäftigt, sollten die Ausgaben für Hochschulen und frühkindliche Erziehung in Berlin auch als strukturelle Investitionen behandelt werden. Schließlich bildet Berlin mehr Studenten aus, als in der Stadt gebraucht werden. Das sind Investitionen gegen den Fachkräftemangel und die negativen Befunde der Pisa-Studie, die auch anderen Bundesländern zugutekommen. Die Solidarität der Länder darf nicht einer Konkurrenz um die niedrigsten Steuersätze geopfert werden.

Berlin muss jedoch auch einen Eigenbeitrag zur Trendwende leisten. So sollten neue Steuereinnahmequellen unter dem Gesichtspunkt sozialer Gerechtigkeit erschlossen werden. Berlin sollte im Bundesrat eine Initiative zur Wiedereinführung der Vermögensteuer starten. Das Angebot öffentlicher Güter in Berlin ist effizienter zu organisieren. Und eine Industriepolitik, die diesen Namen verdient, muss der rapiden Deindustriealisierung der Stadt entgegensteuern. Zukunftsinvestitionen in Bildung und in die soziale und kulturelle Infrastruktur der Stadt tragen zur Attraktivität des Standorts bei. Die finanziellen Spielräume hierfür müssen jetzt geschaffen werden.

Claus Matecki ist Mitglied des Bundesvorstands des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Dieter Scholz ist Vorsitzender des DGB Berlin-Brandenburg.

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