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Ausländerfeindlichkeit: Der Einkauf wird zum Spießrutenlauf

Zunehmend zieht es Einwandererfamilien aus den ärmeren Vierteln in bürgerliche Stadtteile – dort sind sie nicht immer willkommen.

Heike Canbulat sieht Deutschland heute mit anderen Augen. „Mein Leben in Berlin war schön“, sagt die 37-Jährige, „bis mein Schatz kam“. Der Schatz ist Mehmet Canbulat, ein 29-jähriger Mann aus der Türkei, den sie 2003 im Urlaub in Antalya kennenlernte. Kurz darauf heiratete die geschiedene Berlinerin ein zweites Mal und brachte den türkischen Ehemann mit nach Berlin. „Meine Familie hat danach mit mir gebrochen“, sagt die frühere Buchhalterin, „weil sie keinen ,Kanaken‘ unter sich haben wollte.“ Das war aber nur der Anfang, sagt Canbulat.

Die Familie, mit einer Tochter aus erster Ehe und einem gemeinsamen kleinen Sohn, zog von Neukölln nach Karow. Die ehemalige Landgemeinde hat hier und da noch ländlichen Charme, doch vor allem prägt eine riesige Neubauversiedlung die abgelegene Ecke im Pankower Bezirk. In Reih und Glied stehen hier saubere Wohnbatterien mit gestutzten Wiesenquadraten dazwischen. Keine Dealer, kein Straßenlärm, kein Chaos – die Kinder der Canbulats sollten es hier schöner haben als in Neukölln. Doch nun, beklagen sie, wird die zehnjährige Tochter in der Schule und im Jugendclub immer wieder beleidigt und – wie Vater Canbulat in einer Strafanzeige bei der Polizei sagt – diskriminiert. Ihr dreijähriger Sohn habe keinen Kitaplatz in der Nähe bekommen. Auch seine blonde Frau sei von Jugendlichen als „Kanakenweib“ beschimpft und angegriffen worden. „Und alles nur, weil ich Türke bin“, sagt Mehmet Canbulat.

Für ihn selbst ist das neue Umfeld besonders schwer zu ertragen. In Karow leben wenig südländisch aussehende Typen, er fällt auf. Bei den Behörden, im Fitnessstudio, beim Abholen der Tochter – ständig werde er als Ausländer beschimpft oder schief angeschaut, sagt er. „Deutschland hatte ich mir anders vorgestellt.“

Die Canbulats stehen mit ihren Erlebnissen nicht alleine da. Offenbar klagen immer häufiger Einwandererfamilien, die nicht in den angestammten Wohngegenden mit hohen Migrantenanteilen wohnen, über Schwierigkeiten. Der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) zählt häufiger Anrufer, die sich über Probleme in der neuen Nachbarschaft beklagen. Türken aus Brandenburg oder den Villenvierteln der Hauptstadt berichten davon, dass ihre Kinder in der neuen Schule schlecht behandelt werden. „Einige Familien haben Brandenburg deshalb wieder verlassen“, hat Kenan Kolat in seinen Sprechstunden erfahren. Der Geschäftsführer des TBB erklärt den Anstieg damit, dass „immer mehr Familien den Sprung in Wohlstand und damit in bessere Wohnviertel schaffen“. Dort sind sie offenbar nicht immer willkommen. Alleine 37 Mal wandten sich Hilfe suchende Einwanderer wegen Diskriminierung im „Sozialen Nahraum“ in den vergangenen drei Jahren an das Antidiskriminierungsnetzwerk Berlin, eine von vielen Anlaufstellen. Untersuchungen unterstützen die Wahrnehmung: Das Otto-Stammer-Zentrum der Freien Universität ermittelte im vergangenen Jahr, dass jeder siebte Befragte in der Hauptstadt eine ausländerfeindliche Auffassung vertrat. Alltagsrassistische Stereotype seien in der Mitte der Gesellschaft so weit vorhanden, dass sie oft kaum noch als solche wahrgenommen werden.

Der Berliner Verein apabiz und die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus veröffentlichten im Juni den „Schattenbericht - Berliner Zustände 2008“. Dort steht zu Fremdenhass und massiver Beleidigungen in der Nachbarschaft, dass man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen muss, weil viele Migranten eine hohen Hemmschwelle hätten, ihre Diskriminierungserfahrungen öffentlich zu äußern. Der Bericht beschäftigte sich auch mit zwei Brandanschlägen in Rudow: Jugendliche Neonazis hatten im April vergangenen Jahres Brandsätze auf Häuser geworfen, in denen bosnische und türkischstämmige Familien leben.

Heike Canbulat in Karow will ihr Leid nun öffentlich kundtun. „Wenn nur ein Mensch an der Bushaltestelle so etwas sagen würde, würde ich mir nicht viel dabei denken. Aber die Masse der Vorfälle macht uns zu schaffen.“ Inzwischen sei sie mit den Nerven am Ende, könne nicht mal mehr arbeiten gehen. Die Canbulats leben von Erwerbsunfähigkeitsrente und bekommen Sozialhilfe.

Wäre ein Umzug nicht die Lösung? „Wenn ich es mir aussuchen könnte, wären wir sofort weg“, sagt die Mutter. Doch den Umzug könnten sie sich nicht leisten. Das Ehepaar klammert sich an die Hoffnung, dass sich etwas ändert, wenn sie nur genug Aufmerksamkeit bekommen. Frau Canbulat will ein Buch über ihren Alltag schreiben. Ihr Mann hat bei Fernsehmagazinen angerufen, ob die nicht über ihr Leid berichten wollen. „Eine türkische Familie in Ost-Berlin die diskriminiert wird – das ist doch normal, haben sie gesagt.“

Ferda Ataman

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