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Ausländerfeindlichkeit: Hoyerswerda erinnert sich

Mit prall gefüllten Einkaufstüten hasten die Menschen in der Schweitzerstraße in Hoyerswerda aneinander vorbei. Sie zucken nur mit den Schultern, wenn sie nach den Ereignissen von vor 15 Jahren gefragt werden.

Hoyerswerda - Damals, Mitte September 1991, flogen zum ersten Mal in Deutschland Steine und Brandsätze gegen Afrikaner und Vietnamesen. Anwohner standen applaudierend neben dem Wohnheim, manche schrien "Ausländer raus". Waltraut Spill erinnert sich noch gut an diese Tage. "Die Randale begann am 16. September mit einer Auseinandersetzung zwischen Skinheads und vietnamesischen Händlern auf dem Wochenmarkt", sagt die 67-Jährige. Die ehemaligen Vertragsarbeiter flüchteten ins Wohnheim, wo auch Mosambikaner lebten. Die Situation eskalierte fast, bis die Polizei eintraf. Doch damit hatten die knapp zwei Wochen Ausnahmezustand in der Stadt erst begonnen.

Die gelernte Zahntechnikerin kam am zweiten Tag der Übergriffe nach ihrer Arbeit im Braunkohlewerk Welzow zu ihren afrikanischen Freunden. "Ich habe für sie Briefe geschrieben. Ich nehme an, dass mich viele kannten", sagt sie. In der Stadt hatte sich von den ausländerfeindlichen Übergriffen nichts angedeutet. Doch je näher sie zu dem Wohngebiet kam, desto unwirklicher wurde die Situation. "Die Fenster, die Straßen - alles war voller Menschen, und ein Glatzköpfiger sagte: 'Oma, hau' ab'", erinnert sie sich. Hilfesuchend wandte sie sich an die Polizei. Es habe lange gedauert, bis die Beamten und der Bundesgrenzschutz vor Ort gewesen seien.

Das flaue Gefühl, die Ohnmacht und der Wunsch zu helfen.

Waltraut Spill ist sehr ernst, fast unbeweglich, während sie die damaligen Ereignisse Revue passieren lässt. "Ich kannte niemanden persönlich, der dort gebrüllt hat. Aber es waren auch Menschen aus Hoyerswerda", sagt sie mit fester Stimme. Täglich ermutigte sie die verängstigten Mosambikaner. Eines Tages fragte einer, ob sie ihm nicht helfen könnte, sein Motorrad in Sicherheit zu bringen. Sie schaffte Viktor samt Krad aus dem Wohnheim heraus. Als sie ihn, im Auto liegend, wieder zurückbringen wollte, flogen schon wieder Steine durch die Luft. Er übernachtete schließlich bei ihr im Kinderzimmer.

"'Sie nehmen uns Arbeit und Wohnungen weg', begründeten damals Randalierer ihren Hass vor der Fernsehkamera. Aber es stand doch fest, dass die Vertragsarbeiter in ihre Länder zurückgehen", versteht sie bis heute die Anfeindungen nicht, die genauso die Bewohner des Asylbewerberheims in der Müntzerstraße trafen. In einer Nacht- und Nebelaktion wurden damals die Mosambikaner aus der Schweitzerstraße ausquartiert. Um 4.00 Uhr verabschiedete sich Waltraut Spill von ihren Schützlingen mit dem Versprechen, sie in ihrem Land zu besuchen. Es blieben das flaue Gefühl, die Ohnmacht und der Wunsch zu helfen.

Die vielleicht schwärzesten Tage von Hoyerswerda

Am 22. Dezember 1992 machte sich die Seniorin auf den Weg. Sieben Wochen reiste sie durch das Land, in einer mosambikanischen Familie erlebte sie größte Armut und beschloss, privat das Land zu unterstützen. Nach drei Jahren unermüdlichem Sammelns gründete sie den Verein "Projektarbeit Mosambik". 1996 erhielt Waltraut Spill das Bundesverdienstkreuz für ihr Engagement.

15 Jahre nach den Ausschreitungen erinnert die Stadt mit der Ausstellung "Die braune Falle", mit Theateraufführungen und anderen Aktionen an die ausländerfeindlichen Ausschreitungen. Am 23. September wird es zudem ein stilles Gedenken auf dem Lausitzer Platz mit Oberbürgermeister Horst-Dieter Brähmig (Linkspartei) geben. Spill wünscht sich aber statt der zahlreichen Programmpunkte lieber ein regelmäßiges Erinnern, vielleicht mit einem Runden Tisch, an die vielleicht schwärzesten Tage von Hoyerswerda.

Bis heute lassen die Neu-Berlinerin ihre Eindrücke - von damals und aus Mosambik - nicht ruhen. Das Erreichte könne sich zwar sehen lassen, aber es gebe immer noch viel zu tun. Gerade hält sich ein Vereinsmitglied im afrikanischen Land auf, wo sie 1997 gemeinsam mit der Vereinigung ehemaliger Vertragsarbeiter der DDR einen Schulneubau begonnen hatten. Stück für Stück hat der Verein Gelder zusammengetragen, Förderer gesucht, um erst mal eine Klasse zu eröffnen. "Im neuen Schuljahr im Januar 2007 bieten wir schon sieben Klassen Räume und bekommen den Status einer Grundschule. Wir können sagen: Seht, es gibt ein anderes Hoyerswerda", sagt sie stolz. Es zaubert ein Lächeln in das sonst so strenge Gesicht. (tso/ddp)

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