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Noch bis 2010 wurde das Frauengefängnis Lichterfelde als solches genutzt.

© Crispin Gurholt

Ausstellung im Berliner Knast: Die Einsamkeit einer Gefängniszelle

Bis 2010 saßen noch Frauen im ehemaligen Frauengefängnis in Lichterfelde ein. An diesem Wochenende wird es für wenige Tage zum Kunstort.

Zwei Schritte, maximal drei, und man hat den winzigen Raum durchquert, der außer einer kleinen Toilette, dem antiquierten Heizkörper am Kopfende des Gitterbetts und einer Zwischenwand aus Metallstäben fast leer ist. An der Wand aber, direkt hinter den Gitterstäben, hängt eine große Fotografie, die Rückenansicht einer Frau in einer Art Zelle. Der Norweger Crispin Gurholt hat sein Kunstwerk hier aufgehängt – in der Ausnüchterungszelle des ehemaligen Frauengefängnisses Lichterfelde.

[Die Ausstellung „Freigänger/Open Prison“ wird an diesem Freitag um 19 Uhr eröffnet und läuft bis Sonntag, täglich von 12 bis 18 Uhr, in der Söhtstraße 7 in Lichterfelde. Der Eintritt ist frei.]

An diesem Freitag eröffnet in „The Knast“ in der Söhtstraße eine besondere Ausstellung. 50 Künstlerinnen und Künstler arbeiten an dem selbstorganisierten Projekt „Freigänger/Open Prison“. Bis 2010 wurde hier, im denkmalgeschützten Gebäude, nicht moderne Kunst gezeigt, sondern die vom Gericht zugeteilte Straße verbüßt.

Crispin Gurholt ist einer der beiden Kuratoren, die die Ausstellung initiiert haben. Gemeinsam mit Helga-Marie Nordby wurden 25 Künstler eingeladen, die heute leeren Gefängniszellen zu gestalten, jeweils auf ganz eigene Art. „Der Raum ist die Inspiration“, erklärt Gurholt das Konzept. Ein festes Thema gibt es nicht, jeder setzt einen eigenen Schwerpunkt.

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Zum Konzept gehört auch die Zusammensetzung der Künstler. Die anfangs Eingeladenen, meist Bekannte der Kuratoren, waren angehalten, jeweils einen weiteren Gast mit nach Lichterfelde zu bringen. So entstand ein ganzes Knastkunst-Kollektiv. Wie Nordby und Gurholt kommen die meisten der Künstler aus Norwegen, viele aus Oslo, einige auch aus Berlin. Die Mehrheit kennt sich, ist befreundet.

Das Baugerüst als Pionier der Veränderung

Es ist ein besonderes Erlebnis, von Zelle zu Zelle zu schlendern und hinter die Türen zu blicken, auf mal Abstraktes, mal Konkretes. Lange schwarze Striemen an der Wand stellen etwa im Werk von Birte Endrejat ein Gerüst dar. „Das Baugerüst ist das Erste, was die Menschen spüren, wenn sich ihr Lebensraum verändert“, sagt die Berliner Künstlerin. Die Auseinandersetzung mit dem Gefängnisraum wird bei ihr zur Frage nach Bauraum und somit auch nach der Gentrifizierung in der Stadt: Wer wird auch ohne Mauer und Gitter um sich herum beschränkt?

Das norwegisch-deutsche Künstlerduo Per Christian Brown und Jens Jürgen hat in einem anderen Raum eine Lichtinstallation entworfen, nennt sie „Die Einsamkeit des Kerzenträumers“. Das Gefängnis wird bei ihnen zum Symbol für den – nun erzwungenen – Rückzug von der Außenwelt, die Einsamkeit, in der sich die existenziellen Fragen stellen. Fragen, die in der Installation in dem Manuskript auftauchen, das von einer Frauenstimme ruhig und doch bedrängend vorgelesen wird: Warum fliegt die Motte zum Licht, wenn sie darin verbrennen wird? Licht wie das von dem riesigen LED-Quader in der Mitte der Schlafpritsche. Er strahlt so hell, dass das Bett kaum mehr zu erkennen ist.

Die Wand wird zum Ausdrucksmittel

Jeder der Künstler hat sich mit seinen eigenen Fragen zu den Räumen befasst. Dass diese die meiste Zeit über zur Internierung von Frauen genutzt wurden, beschäftigt auch Bente Stokke: „Ich frage mich, was hätte ich die ganze Zeit über gemacht?“ Die Norwegerin, die in Berlin lebt und in Weißensee an der Kunsthochschule unterrichtet, hat versucht, so viel wie möglich über das Gefängnis herauszufinden. Auch in Gefängnissen finden sich immer wieder Zeichnungen und Kritzeleien von Insassen. Kunst als Befreiung? „Es ist sehr schwer, sich das vorzustellen. Die Wand wird zum Ausdrucksmittel“, glaubt Stokke.

Ein Ausdrucksmittel, das auch Zeiten überdauern kann. Denn natürlich verändert sich das Gefängnis im Rahmen des Projektes nun selbst. Was bleibt also von der Kunst im Knast? Da die Ausstellung nur ein Wochenende dauert, ist offen, was danach mit den Werken geschehen soll. „Wenn es dem Inhaber gefällt, bleibt es drin“, verrät der Brite George Barber, der die Wand „seiner“ Zelle besonders aufwendig genutzt hat und grinst: „Und wenn nicht, ist es auch gut.“

Felix Lorber

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