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Winde

© Peters

Abgeordnetenhaus: Babys im Plenarsaal: Immer mit der Ruhe

Im Berliner Parlament gibt es einen Babyboom: Viele Politikerinnen bringen ihre Kinder mit zur Sitzung. Doch das stört manche Debatte.

Von Sabine Beikler

Der kleine Fabian krabbelt auf einer Kuscheldecke, die 15 Wochen alte Johanna schläft friedlich auf dem Arm ihrer Mutter, und Klein-Marit hebt vorsichtig ihr Köpfchen: Szenen aus dem Plenarsaal. Noch nie hat das Berliner Abgeordnetenhaus so einen Babyboom unter den 149 Parlamentariern erlebt wie aktuell. Bis Ende des Jahres werden es zehn Kleinkinder unter zwei Jahren sein, die von ihren Müttern und Vätern öfter mal in die Ausschüsse, zu den Fraktions- oder Plenarsitzungen mitgenommen werden. Dass Babys nicht geräusch- und bewegungslos den Debatten folgen und sich plötzlich lautstark melden, wenn sie Hunger haben oder die Windeln voll sind, liegt in der Natur der Sache. Das Mitbringen von kleinen Kindern erzeugt Unruhe, die Geräuschkulisse steigt. Das stößt nicht bei allen Abgeordneten auf Gegenliebe.

„Kollegen und Kolleginnen stören sich an der Mitnahme der Kinder“, sagt die SPD-Abgeordnete Stefanie Winde. Die Gesundheitspolitikerin hat das vor ein paar Wochen selbst erlebt. Während einer Plenarsitzung saß sie in der ersten Reihe im Gespräch mit ihrem Fraktionschef Michael Müller, als Johanna anfing zu schreien. Die SPD-Politikerin legte ihre Tochter an die Brust, um sie zu stillen. Doch dann bekam sie vom Präsidium einen Rüffel und wurde in die hinteren Reihen verwiesen. „Solch ein Verhalten ist nicht angemessen“, sagt die CDU-Abgeordnete Marion Kroll, 58 Jahre und Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Man könne ja auch die Kinder in einer hinteren Ecke stillen. Und für die Kinder sei die Anwesenheit während einer langen Plenarsitzung auch nicht optimal. Krolls FDP-Kollegin Mieke Senftleben sieht das genauso. „Mütter sollen die Kinder stillen können, aber nicht in der ersten Reihe.“ Beide Frauen argumentieren auch mit der politischen Bedeutung des Plenums. Man spreche nicht umsonst vom „hohen Haus“, in dem wichtige Entscheidungen getroffen werden. Lisa Paus, Grünen-Politikerin und Mutter von Fabian, sagt: „Der Plenarsaal ist ein öffentlicher Raum und stillen kann man da auch. Viele unterhalten sich lauter als Kinder schreien.“

Die Mitnahme von Säuglingen zu Plenarsitzungen im Abgeordnetenhaus ist nicht verboten, darauf hat sich das Präsidium vor sieben Jahren verständigt. Nur erwartete damals niemand einen Babyboom. Um mehr Ruhe in den Parlamentsbetrieb zu bekommen, bietet das Abgeordnetenhaus seit dieser Woche die Betreuung der Babys in einem „Kinderzimmer“ an, das schnell vom Plenarsaal aus erreichbar ist. Dafür sei eine Erzieherin auf 400-Euro-Basis eingestellt worden, sagt Parlamentspräsident Walter Momper (SPD). „Das Betreuungsangebot gilt nur für Säuglinge. Werden die Kinder älter, muss das neu geregelt werden.“ Momper erinnert an eine West-Berliner Gepflogenheit. Nur während der Sitzungen am Wochenende, in denen Bundesgesetze vorgestellt wurden, hätten Abgeordnete ihre Kinder mitnehmen dürfen.

Das neue Betreuungsangebot im Abgeordnetenhaus hält Siegfried Stresing, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Familienverbandes, für eine gute Lösung. „Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf funktioniert nicht immer. Gerade das Parlament ist ein hohes Gremium. Hier werden wichtige Entscheidungen getroffen, für die man Konzentration braucht.“

Im Bundestag gibt es keine Regelung für die Mitnahme von Kindern. „Das wird nicht praktiziert“, sagt eine Sprecherin der Bundestagsverwaltung. Die meisten Parlamentarier wohnten nicht in Berlin und regelten die Betreuung der Kinder am Wohnort. In der Bundestagskita werden zurzeit 141 Kinder betreut – überwiegend Kinder von Mitarbeitern des Bundestags und der Abgeordneten. In der Hamburger Bürgerschaft ist die Mitnahme von Kindern ebenso wenig geregelt wie im bayerischen Landtag: „Das haben wir lange nicht mehr gehabt. Vielleicht vor 20 Jahren, als die Grünen ins Parlament kamen“, sagt der stellvertretende Sprecher Josef Hasler. Im Herbst werde eine Kinderkrippe im Landtag eröffnet. Sollte jemand sein Kind mitbringen, sei das wohl kein Problem. „Der Bayer ist in der Regel ein toleranter Mensch.“

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