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Berlin: Barbara Kasper (Geb. 1935)

Dieses Lachen, laut und ungestüm. Trotz allem, was sie auszuhalten hatte

Ein 1. April, der Tag, an dem Barbara ihre Ausbildung zur Verwaltungswirtin beginnt. Sie hat sich am Morgen, zusammen mit anderen Debütanten, in der Berliner Arbeitsverwaltung einzufinden. Ein paar einleitende Worte des Präsidenten, nichts Großes. Aber der Präsident hat sich verspätet. Die Neuen sitzen da und gucken stumm in die Gegend. Ein junger Mann wartet ebenfalls, er durfte die Anfänger in Empfang nehmen, doch jetzt kann er auch nichts anderes tun als sich gedulden. Füße scharren, jemand hüstelt. Und plötzlich hören alle ihre Stimme, ganz und gar unbefangen. Sie richtet sich an den jungen Mann: „Sie sind wohl schon lange hier?“ Der junge Mann könnte im Erdboden versinken. Dann kommt der Präsident.

Während der Mittagspause sitzt Barbara allein an einem Tisch. Der junge Mann und ein Kollege stehen mit ihren Tellern zwischen den Tischen. Der Kollege fragt: „Wollen wir uns zu ihr setzen?“ Aber der andere sagt schroff: „Nee, zu der doch nicht.“

Acht Jahre später sind sie verheiratet.

„Eigentlich waren unsere Flitterwochen nie beendet“, sagt Egon, „zwischen uns beiden war immer was los.“ Zärtliche Sticheleien, sanfter Spott: Wenn sie darauf bestand, gesund zu essen, er aber diese schlichte Lust auf Süßes oder Salziges hatte. Wenn sie im grün berankten Hof hinter ihrem Lichterfelder Haus saßen, er sein Gesicht zur Sonne gewandt, sie stets im Schatten, worüber er den Kopf schüttelte. Dieser Humor, der sie verband, das Verspielte. Als sie einen Segelausflug unternahmen und ein Typ, der mit ihnen fuhr, nicht aufhörte mit seiner Villa zu protzen, sie dann ihre Schultern hängen ließen, bekümmert sagten: „Ach, wir haben nur eine einzige Stube“, und hinterher hemmungslos lachten.

Barbaras Lachen, laut und ungestüm. Trotz allem, was sie auszuhalten hatte. Kurz vor Ende des Krieges kam das Schreiben von der Ostfront: Ihr Vater wird vermisst. Die Mutter weigerte sich, ihren Mann für tot erklären zu lassen. Die ausbleibende Witwen- und Halbwaisenrente war das eine, die Verklärung des Vaters dagegen kaum auszuhalten. Jedes Weihnachten stellte die Mutter einen Teller für den Vater auf den Tisch, Barbara und ihre Schwester starrten auf den leeren Platz. Jahre später erst blieb dieser vierte Teller im Schrank, der verkrampfte Schmerz aber hatte sich schon tief in Barbara festgesetzt. Sie dachte an den letzten Fronturlaub des Vaters, als sie nach Meißen gefahren waren, die Manufaktur besichtigt hatten, nur sie beide. Als sie, längst erwachsen, Porzellanfiguren kaufte, Meißener Hentschelkinder, ein Mädchen, das sein Gesicht in das Fell einer Katze drückt. Sie dachte an die Mutter, die so sehr darauf bestanden hatte, dass die Volksschule für die Tochter vollkommen ausreiche. Bis eine Lehrerin dem begabten Kind das Abitur ermöglichte. Geld für ein Biologiestudium fehlte trotzdem. Sie begann die Ausbildung und zog zu Hause aus.

Nach den Lehrjahren setzte man sie als Vermittlerin für Hauswirtschaftsberufe ein, doch diese Statistiken, das ständige Verfassen von Berichten im öffentlichen Dienst ödeten sie an. Eines Tages brach sie sich den Zeh. Vier Wochen, sagte der Arzt, muss ich sie schon krankschreiben. Also legte sie das Bein hoch und betrachtete ihr Leben. Und als sie den Fuß wieder aufsetzen konnte, war sie sicher: „Ich werde an die Pädagogische Hochschule gehen und, um das Studium zu finanzieren, als Mannequin arbeiten.“ Allerdings verschwieg sie den Plan vor ihrem Chef. Als der schließlich doch davon erfuhr, rief er: „Hervorragend, dann können sie ja ab jetzt Fotomodelle und Künstler vermitteln.“

Und da sie immer den richtigen Blick für die passende Person hatte, bot man ihr an, den Berliner Künstlerdienst zu leiten. Modeschöpfer fragten an, Regisseure, Unternehmen, die ein Werbegesicht suchten. Die Wände in ihrem Büro am Ku’damm waren mit Schauspielerfotos tapeziert, sie hatte dafür zu sorgen, dass Harald Juhnke pünktlich zu seinen Auftritten erschien oder 20 glatzköpfige Männer gefunden wurden. Nach der Arbeit las sie, spielte Klavier, kümmerte sich um ihre Katzen, kaufte Zille-Skizzen, sah Kurt Masur und Duke Ellington und den Thomanerchor, tanzte mit Egon, segelte mit ihm auf dem Mittelmeer oder der Havel, reiste durch Europa, Mexiko, Marokko, Indien.

Auf der Fahrt im letzten Oktober, den Don und die Wolga hinab, spürte sie einen Schmerz. In Berlin brachte Egon sie ins Krankenhaus, sie hörte dieses Wort, Krebs, die OP lief gut, die Therapie schlug an, sie nahm wieder zu, doch dann fühlte sie sich plötzlich so schwach, Egon fuhr sie nach Hause, sie legte sich ins Bett, und sie verschwand.

Vor dem Lichterfelder Haus parkt Barbaras kleines rotes Cabriolet. 300 000 Kilometer wollte sie schaffen und dann Champagner auf die Windschutzscheibe gießen. 292 000 steht auf der Anzeige. Die Flasche „Moët et Chandon“ liegt im Kühlschrank. Tatjana Wulfert

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