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Lawrow beim Begrüßungsdinner beim G-20-Gipfel in Indonesien

© dpa / WILLY KURNIAWAN

Basquiat, Basquiat an der Wand: Was Kunst über Despoten sagt

Hitler liebte Wagner, Stalin mochte Mozart, Mussolini huldigte dem Jazz. Kunst war für Diktatoren stets Selbstinszenierung. Doch manchmal lässt sie tief blicken.

Als vor zwei Woche der G20-Gipfel auf der indonesischen Insel Bali stattfand, machte ein Teilnehmer schon Schlagzeilen, bevor das Event überhaupt anfing. Der russische Außenminister Sergei Lawrow lag mit westlichen Medien im Clinch, die behaupteten, er sei kurz nach seiner Ankunft in ein Krankenhaus gebracht worden. Mit einem Handyvideo von seinem Hotelbalkon versichert der zweite Mann im Staate, dass dies Fake News seien. Interessanter als der Rummel um seine Gesundheit war allerdings, was er in diesem Video trug. Zum einen ein neues iPhone samt Apple Watch. Zum anderen ein T-Shirt des New Yorker Ausnahmekünstlers Jean-Michel Basquiat.

Kaum ein Fashionstatement scheint so wenig zum von ihm mitgeleiteten russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu passen wie ein nonchalantes Bekenntnis zu einem queeren, anti-kolonialen Künstler wie Basquiat es war. Interessanterweise scheint es sich im Falle Lawrow nicht einmal um eine Verirrung oder einen ausgeklügelten PR-Stunt zu handeln, denn der Russe lebte einst in New York und zelebriert Frank Sinatra und die Beatles. Seine Tochter ist zudem selbst im Kunstgeschäft aktiv und gründete eine Firma, die zehn Jahre lang den russischen Pavillon für die Biennale in Venedig organisierte.

Fakt ist: Diktatoren und Despoten aller Art nutzten seit jeher Kunst, um sich damit in Szene zu setzen. Schon die alten Ägypter nutzen Malereien und Porträts, um ihre Glanztaten oft buchstäblich in Stein zu meißeln. Im antiken Rom prägte man sie hingegen auf Münzen. Heutzutage sieht man diese überhöhten Selbstdarstellungen seltener, beispielweise in Form von überlebensgroßen Statuen der nordkoreanischen Kim-Dynastie. Auch das wachsame Porträt Mao Zedongs am Tor des Himmlischen Friedens in Peking entspringt diesem künstlerischen Personenkult. Viel verbreiteter ist jedoch mittlerweile die Ausschmückung des eigenen Charakters durch seine Kunstvorlieben.

Nehmen wir das Beispiel Musik. Jeder Despot, der etwas von sich hält, hört klassische Musik als Zeichen seiner Erlesenheit. Hierzulande bleibt Adolf Hitlers Liebe zu Richard Wagner wohl das bekannteste Beispiel. Sein Hang zur Wagnerschen Dramatik ging so weit, dass der „Walkürenritt“ als Hintergrundmusik für Kriegspropaganda in der Wochenschau genutzt wurde. Josef Stalin liebte zum einen die Musik Mozarts, zum anderen einige der Werke Dmitri Schostakowitschs, zu welchem er eine komplizierte Beziehung hegte: unkompliziert und leicht sollte die sowjetische Musik nach seinem Ideal sein, düster nur wenn am Ende auch das Gute obsiegt. Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ wurde vom Politbüro geächtet, während seine 5. Symphonie genau Stalins Geschmack traf.

Ein nennenswertes musisches Engagement hatte auch Hitlers Verbündeter Benito Mussolini vorzuweisen. Hier tut sich auch schon ein erster Spalt auf, denn wenn es um die Kunst ging, waren die Führer der zwei Achsenmächte völlig verschiedener Meinung. Nicht-arische Kunst galt im NS-Staat bekanntermaßen als „entartet“ und damit schändlich. Zum einen betraf dies viele jüdische Künstler, zum anderen aber auch moderne Kunstformen wie den Expressionismus in der Malerei oder den Jazz in der Musik.

In Italien galten zwar auch Rassegesetze, aber für die Kunst machte man gerne Ausnahmen. Mussolini selbst war passionierter Geigenspieler und sein Sohn Romano wurde ein erfolgreicher Jazzpianist. Musikalisch beschnitt man lediglich die Texte der Songs. Statt Kulturkampf herrschte im italienischen Faschismus Modernisierung und Assimilierung. Mussolini liebte den Jazz gar so sehr, dass er das ungarisch-niederländische Vokal-Trio Lescano im Jahr 1942 in Italien einbürgern ließ. Die jüdische Abstammung der drei Schwestern wurde dabei zur Nebensache. Im Gegensatz zum zukunftsgewandten Jazz sah Mussolini die Oper übrigens als verstaubt und aus der Zeit gefallen an.

Doch während diese internen ideologischen Streitereien schon einen Fingerzeig wert sind, so ließen sie sich von den jeweiligen Machthabern immerhin noch in ihre eigene Staatsräson integrieren. Hitlers Berufung auf die österreich-deutschen Wurzeln der Opern von Wagner und Strauss hatte in etwa die gleiche opportune Schlüssigkeit wie Mussolinis Anpreisung neuer technologischer Fortschritte in der Musik zum Zwecke der Massenunterhaltung und -ablenkung. Noch interessanter wird es jedoch, wenn man betrachtet, was so mancher Machthaber völlig konträr zu seiner offiziellen Meinung im stillen Kämmerchen genießt.

Spätestens seit dem Besuch von Dennis Rodman in Nordkorea ist Kim Jong-uns Basketballbesessenheit kein Geheimnis mehr. Schon sein Vater Kim Jong-il machte als Filmaficionado und großer Elizabeth-Taylor-Fan auf sich aufmerksam. In den Siebzigern schrieb er eine Abhandlung über die propagandistische Macht des Kinos. Das ging soweit, dass er 1978 die Entführung des renommierten südkoreanischen Regisseurs Shin Sang-ok und seiner Frau Choi Eun-hee durchführen ließ, um für ihn Filme zu produzieren. Sein Sohn Kim Jong-un gibt sich lieber dem Sport und der Popkultur hin. Laut Ex-Chicago-Bull Rodman möge Kim die Doors und Jimi Hendrix. Auch sein selbsternannter Lieblingssong dürfte einige Augenbrauen hochzucken lassen: „Brother Louie“ von Modern Talking.

Dass auch in dieser Antwort ein gewisses Maß Selbstinszenierung einkalkuliert ist, lässt sich nie ganz ausschließen. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt jedoch, dass sich manche Geheimnisse letztlich doch lüften lassen: Funde im Reichskanzleramt nach Ende des Zweiten Weltkrieges legen nahe, dass Hitler Platten von offiziell so verhassten russischen Künstlern wie Piotr Tschaikowski, Alexander Borodin und Sergei Rachmaninoff zu seiner Privatsammlung zählte. Auf einer Tschaikowskiplatte trat sogar der jüdische Geigenvirtuose Bronisław Huberman auf. Entartet musste diese Vorliebe wohl vor allem für den Besitzer der Platte sein.

Ein letzter Blick soll der Welt der Literatur und dem Theater dienen. Der eingangs erwähnte Stalin schmökerte neben sozialistischer Pflichtlektüre gern in Klassikern der russischen Literatur und konnte den US-Dichter Walt Whitman mühelos rezitieren. Gefallen fand er auch an Michail Bulgakow, obwohl viele von dessen zeitgenössischen Satiren sich für den Diktator fast schon wie ein Schnitt ins eigene Fleisch angefühlt haben müssen. Sein Weißgardisten-Drama „Die Tage der Turbins“ ließ Stalin persönlich vor der Absetzung retten und sah es mindestens 15 Mal.

Eine Vorliebe für heimische Autoren zeigt auch Wladimir Putin, der in der Vergangenheit fast schon zynisch oft Leo Tolstois „Krieg und Frieden“ pries und sich an der Poesie Michail Lermontows ergötzt. Ins Theater zog es Putin jedoch auch manchmal. Sein Lieblingsstück handelt von einem Jungen, einem Fuchs und einer Rose: Der kleine Prinz.

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