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Baugrube

© Thilo Rückeis

Baugemeinschaften: Linke Initiativen haben etwas gegen die "Guten"

Die radikale Linke hat ein neues Feindbild in Berlin – Leute, die gemeinsam Häuser bauen. Doch eines verbindet die Gegner: Beide wollen eine soziale Stadt.

Nett ist das hier in Alt-Treptow. Die Gegend zwischen Bouchéstraße und Landwehrkanal wirkt, stadtentwicklungsmäßig gesehen, wie Dornröschen bei der Morgentoilette: wachgeküsst, aber noch nicht aufgetakelt für den Tag. Oder wie Kreuzberg vor ein paar Jahren. Nach Kreuzberg braucht man, wie nach Neukölln, ein paar Minuten. Auch das macht Alt-Treptow für manchen reizvoll.

Es ist etwas im Werden in der Gegend um die Karl-Kunger- und die Kiefholzstraße, man bekommt „Vintage-Mode“ in einem Laden, der in der Szene einen Namen hat, es gibt ein Foto-Atelier, einen Laden für Musiker- und Studiobedarf, ein paar Kneipen, und auch der Orthopädieschuster ist in der Gegenwart angekommen. Die knallroten Kinderschuhe im Schaufenster zeigen, dass er weiß, was urban lebende Eltern schätzen. Altbauten in verschiedenen Renovierungsstadien prägen den Kiez. Durch die Karl-Kunger-Straße dieselt der Bus der Linie 194 mit dem Ziel Hermannplatz. Parallel dazu führt die grüne Senats-Fahrradroute durch die Heidelberger Straße. Bis nach Schöneberg sind es 5,8 Kilometer, zum Südstern 3,4.

Kein Wunder, dass Leute hier hinziehen wollen. Kein Wunder auch, dass sie hier bauen wollen. Zwei Baugemeinschaften haben Brachen an der Lohmühlenstraße gekauft – und der Streit, den es um ihre Vorhaben gibt, sagt einiges über die politischen Umgangsformen, die derzeit in Kreuzberg, Friedrichshain, überhaupt im Einzugsgebiet von Mediaspree üblich sind. Es ist ein Streit um Lebensweisen, ein Streit über das Tempo, in dem sich die Mitte der Stadt verändert – und darüber, wer sie verändert. Er wird mit Worten ausgetragen, mit Flugblättern, über die Organisation von Initiativen und Kundgebungen des Unmuts. Das ist eigentlich Kreuzberger Normalbetrieb. Doch hier arbeiten nicht Linke gegen „Investoren“ oder „rechte Spießer“, hier sind Linke gegen Linke – linke Einsteiger ins bürgerliche Leben mit Geld für den Teil eines Hauses gegen linke Aussteiger. Verkürzt könnte man sagen: Beide Konfliktparteien sagen von sich „wir sind die Guten“.

„Neubau eines Wohnhauses für 36 Erwachsene und 17 Kinder“ steht am Zaun eines Grundstücks an der Lohmühlenstraße, „Fernwärmeversorgung“ wird angekündigt. Der schwarz-rote Anarcho- Aufkleber auf dem Bauschild ist abgerissen – wenig später klebt schon ein neuer auf dem Schild . „KarLoh“ nennt sich die Baugemeinschaft, die hier ihr Haus hinstellen will. Daneben steht der Rohbau der Baugemeinschaft „Zwillingshaus“. Ein Kran schwenkt gerade eine Betonfertigtreppe heran. Till Degenhardt gehört zu einem Architekturbüro, das beide Bauvorhaben betreut. Er bezeichnete die Erfahrung von spürbarem Widerstand aus dem Kiez als „Premiere“.

Kaum jemand aus der „KarLoh“- Gruppe will über das Projekt reden, man will nichts zum Streit beitragen. Im Kiez in Alt-Treptow grollen manche der Gruppe. Dass 18 Pappeln abgeholzt wurden, damit die Baugrube ausgehoben werden konnte, gab nur den Anlass her. Inzwischen sind manche ein bisschen erschüttert. „Die Diskussion macht vor nichts halt“, sagt einer aus der Gruppe und spricht von der „Radikalisierung“, die in Kreuzberg und Umgebung zu spüren sei. Damit sind die brennenden Autos gemeint und der Anschlag auf ein Ökohausprojekt in Prenzlauer Berg. Dabei fühlt er sich – und das gilt wohl für fast alle Mitglieder der beiden Baugemeinschaften – dem Kiez verbunden. Deshalb baut er doch kreuzbergnah. „Man ist hier groß geworden“, sagt er.

Zur gefühlten Szene-, Kiez- und Alternativmilieuverbundenheit der Baugruppenleute kommt eine soziale Nähe. Ihnen geht es nicht um ein Renditeobjekt. Hannes Honecker von der Zwillingshaus-Gruppe spricht von dem Hausanteil als „Sparkonzept“. Irgendwann ist der Kredit für den Anteil bezahlt, und man muss keine Miete mehr bezahlen, wenn man alt ist.

„Die haben die Entscheidung für ein anderes Leben getroffen“, sagt der nicht mehr ganz junge Mann mit den langen, ein wenig grauen Haaren, der sich als Mitglied einer Anwohnerinitiative vorstellt, der Name tue nichts zu Sache. Man sitzt im Café „Provinz“ an der Ecke Karl-Kunger-/Bouchéstraße, das Kaffeeangebot ist urban . Der Mann und zwei Frauen aus der Initiative haben einige Argumente gegen Baugemeinschaften. Man kann sie so zusammenfassen: Alt-Treptow wird modernisiert, viele Mietwohnungen werden in Eigentum umgewandelt. Die Baugruppen sind Teil des Prozesses, in dem Berlin von einer Mieter- zu einer Eigentümerstadt wird. Kurz: (Auch) Baugruppen stehen für Gentrifizierung. Das Argument des Mannes mit den schon etwas grauen Haaren bringt die Gegnerschaft am radikalsten – und am ehrlichsten – auf den Punkt: Es gehe um die Frage, ob Eigentum gut ist oder schlecht. In diesem Konflikt „brennt eben auch mal ein Auto“, sagt der Mann lakonisch.

Die Radikalen von Alt-Treptow sind konservativ, sie wollen den Kiez bewahren, wie er ist. Mit der Wagenburg „Lohmühle“, die von einer wunderbar dichten Hecke umgeben und trotzdem zugänglich ist; mit den Leuten, die sich ihre Wohnungen gerade noch leisten können. „Man will die Stadt aufwerten“, sagt der Radikale aus der Initiative. In Alt-Treptow zögen jetzt die MTV-Mitarbeiterinnen aus München, die 1000 Euro Miete zahlen können, in sanierte Dachgeschosse, sagt er, und: Ein soziales Verhältnis halte die Menschen in der Stadt zusammen. Werde dieses Verhältnis aufgelöst, „verstehe ich, dass Leute sich massiv wehren“.

Politisch wache Baugemeinschaftsmitglieder können das nachvollziehen – theoretisch. Eins ist allen klar: Die Modernisierungs- und Gentrifizierungsgegner kämpfen in Alt-Treptow auch für sich. Michael Schmitz, ein Lehrer, der seit 1993 in Alt-Treptow wohnt, hat in 15 Jahren etwa fünf Phasen der Kiezverwandlung beobachtet. Inzwischen sei die Karl-Kunger-Straße dabei, so zu werden wie die Kastanienallee in Prenzlauer Berg, sagt er spöttisch. Er bringt die Spannungen auf den Gegensatz zwischen Porschefahrern und Transferleistungsempfängern. 40 Prozent der Kinder in der nächstgelegenen Grundschule kämen aus armen Familien, sagt er. Sozusagen dazwischen stehen die Baugemeinschaftsleute von der Lohmühlenstraße, auch wenn sie noch gar nicht in Alt-Treptow wohnen. Sie sind, wie eine Frau aus einem der Projekte sagt, strikt basisdemokratisch. Sie wollen sich, so kündigt ein Mann vom „Zwillingshaus“ an, im Kiez engagieren, wenn sie erst mal angekommen sind, zum Beispiel gegen die vom Senat geplante Autobahnverlängerung.

Also alles nur ein Kommunikationsproblem? Weiter weg von Mediaspree, im sanften Teil von Kreuzberg, läuft ein vergleichsweise riesiges Baugemeinschaftsprojekt – und es läuft geräuscharm und konfliktfrei. Das liegt unter anderem an Leuten wie Erwin Meyer. Der Mann, der jetzt im Sommer mit Strohhut daherkommt, ist ein Kommunikator. Mit vielen anderen will Meyer in absehbarer Zeit in einem Altbau auf dem Gelände des alten Urbankrankenhauses leben, als Eigentümer. Für dreizehneinhalb Millionen Euro kann die Baugruppe „Am Urban“ den vollständigen Bestand an alten Ziegelgebäuden auf dem Gelände kaufen: im Kiez, wo viele schon lange wohnen und einer wie Meyer sein Kommunikationstalent zur Kraft eines freundlichen breiten Flusses gesteigert hat.

Damit in der links-alternativ-multikulturellen Gegend niemand auf schlechte Gedanken kommt, haben die Urban-Käufer in spe ihr Vorhaben von Anfang an bekannt gemacht, und zwar über den E-Mail-Verteiler eines Nachbarschaftshauses. So schien das Projekt aus dem Kiez herauszuwachsen. Sicher, hier entsteht Privateigentum, mit Gärtchen und Höfen, mit einem Kinderspielplatz und einem Zaun drum herum. Damit aber niemand auf die Idee kommt, hier würde sich in amerikanischer Manier eine kleine „gated community“, eine geschlossene Gemeinschaft, von der Umgebung absondern, stellt Meyer klar, dass das Gelände nach allen vier Seiten offen sei und die Tore nur zur Nacht geschlossen werden sollen.

Eigentum verpflichtet – in Berlin und vor allem in Kreuzberg erst einmal zum vorsichtigen Umgang mit der Umgebung. Das ist Baugemeinschafts-Fundamentalwissen. Die Architektin Regine Siegl hat gemeinsam mit ihrem Mann schon einige Gemeinschaftsprojekte verwirklicht. Dass Spannungen im Umfeld dazugehören, hat auch sie erfahren. Dabei gehe es nicht um die Rendite – „eigentlich wird Wohnraum frei“, sagt sie. Denn aus Mietern werden Wohnungsbesitzer. Doch sogar das Haus in der Methfesselstraße, in dem sie ihr Büro hat, sei im ersten halben Jahr seines Daseins vielfach beschmiert worden, erzählt sie. Womöglich gehört auch das zur Mieterstadt Berlin. Wer Eigentum in sie hineinstellt, eignet sich – auch wenn er das mit anderen gemeinsam tut – als Feindbild.

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