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Berlin: Baumstümpfe in Laubenpiepers Königreich

In unserer treffsicheren Serie landeten wir diesmal bei den kämpferischen Kleingärtnern in der Kolonie „Roseneck“ in Britz

„Carlos, ich liebe Dich“, ist auf den Beton der Böschungseinfassung gesprüht. Oben überquert die Neukölln-Mittenwalder Eisenbahn auf der Gradebrücke die Gradestraße. Autos rauschen in stetem Strom; es stinkt nach Abgas. Gut wäre, wir könnten jetzt einfach diesem asphaltierten Weg gleich neben den Bahngleisen folgen, einfach entlang der Schienen nach Südosten, bis zu dem Punkt, wo das Tempelhofer Industriegebiet, die Kleingartenkolonie Roseneck und die Gleise aufeinander treffen. Da wollen wir hin; dort bohrte sich der Pfeil in den Stadtplan.

In Britz. Eine halbe Stunde sind wir bereits unterwegs. Vom U-Bahnhof Hermannplatz zur Blaschkoallee, dann in den 270er Bus, der fährt nur alle 20 Minuten. Und zur Mittagszeit auch nur bis zum Betriebshof Britz, durchs Industriegebiet erst wieder nachmittags bis 18 Uhr. Also laufen, die Gradestraße geradeaus. An der Ecke Tempelhofer Weg türmt sich noch ein blank polierter Bürohauskomplex in Bürohaus-Durchschnittsarchitektur sechsstöckig auf, danach folgen Gewerbeflachbauten aus allen Nachkriegsjahrzehnten. Papierfabrik, Flüssiggaslager, BSR- Recyclinghof, Bodenwaschanlage. „Linde“ verkauft technische Gase, hinterm Zaun der Firma „Freileitung – Werk Berlin“ stapeln sich nackte Kabeltrommeln. Schließlich die Eisenbahnbrücke und dieser Weg daneben, den wir gerne gehen würden – endete er nicht nach wenigen Metern in einer Ansammlung von Kfz-Werkstätten.

Also durch die Laubenkolonien! „Sorgenfrei“ heißt die erste, der „Mittelweg“ führt vorbei an still liegenden Gärtlein, in denen am Wochentag niemand macht oder tut. Sehr gepflegt alles, kleine Holzhütten mit viel Rasen oder große Steinhäuser mit weniger Grün. Apfelbäume, Pflaumenbäume, Gemüsebeete, Blumenrabatten. Gartenzwerge und andere Figuren in Laubenpiepers Königreich. Dann nach rechts, auch die Kolonie Roseneck zeigt sich aufgeräumt, am Vereinsheim vorbei, schräg links – da quert die „Ringallee“ schon die Gleise. Ein Schild gebietet: Radfahrer absteigen. Ein Postbote radelt herbei; er steigt nicht ab. Eine Blautanne sieht schweigend darüber hinweg.

Der Stadtplan ist ungenau: Ein paar Gärten liegen noch jenseits der Bahn, erst hinter ihnen ragt wellblechverkleidet die BSR-Müllumladestation in die Höhe. Eine Stunde hat die Reise gedauert. Und keine zwei Minuten sind vergangen, da spricht schon einer den Fremden an: „Kann ich Ihnen helfen?“ Herr Detlef Kasimir hat seinen Mercedes hinter seinen Trabi geparkt, zu Hause stehen noch acht weitere Trabis, seine Parzelle ist ein Stück den Weg runter. „Ach, von der Zeitung? Kommen Sie mal mit, ich zeig’ Ihnen was!“

Blinde Scheiben in leeren Lauben. Baumstümpfe in verwildernden Gärten. Unbeschnittene Hecken. Laubenpiepers Jammertal. „Die mussten alle weg hier. Die BSR will für ihren Müll einen Gleisanschluss bauen, quer durch die Kolonie. Mit drei Meter hohen Lärmschutzwänden links und rechts. Dabei stinkt’s uns so schon gewaltig.“ Herr Kasimir macht mit Manfred Zipp bekannt. Graue Haare, kurze Hosen. Er hat seinen Garten genau am Bahnübergang. „Der Kohlenzug, der hier einmal am Tag fährt, der stört nicht. Aber stellen Sie sich den Rangierlärm vor, wenn da hinten die BSR verlädt!“ Seit Jahren wehren die Nachbarn sich, erzählt er. Inzwischen liege die Planfeststellung zwar vor. Doch sie geben nicht auf, wollen jetzt klagen. Und sie führen neuerdings Buch. Auf einem „Geruchserfassungsbogen“ der Umweltverwaltung. Denn wenn der Wind falsch steht – „dann stinkt’s hier nach Müll, aber wie! Wenn du da am Tisch sitzt, kann dir schon schlecht werden.“

Es weht heute jedoch kaum ein Lüftchen. Zu riechen ist nichts. „Und die Pflaumen“, sagt Herr Zipp, „die waren dieses Jahr alle madig.“ Holger Wild

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