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Berlin: „Behörde verstößt gegen Grundrechte“

Der Richter Percy MacLean hält den Umgang der Ausländerämter mit Bürgerkriegsflüchtlingen für teilweise verfassungswidrig

Immer wieder werden Flüchtlingsfamilien aus ExJugoslawien durch Abschiebung getrennt oder Kinder zur Abschiebung aus der Schule geholt. Seit dem Sommer waren mehrere Fälle Thema auch im Tagesspiegel. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) verteidigt dieses Vorgehen der Ausländerbehörde. Ariane Bemmer sprach darüber mit dem Richter Percy MacLean, der gerade die Carl-von-Ossietzky-Medaille für seinen Einsatz um Menschenrechte bekam.

Vergangene Woche wurden wieder zwei Kinder von Bürgerkriegsflüchtlingen von der Schule abgeholt und ins Abschiebegefängnis gesteckt. Eine schwer behinderte Frau wurde in den Kosovo abgeschoben. In beiden Fällen sagen die Anwälte, dass eine Duldung vorgelegen habe, über deren Verlängerung noch nicht entschieden war.

Wenn dies so zutreffen sollte, wäre das ein Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Prinzipien eines fairen Verfahrens. Jeder Bürger hat das Recht, zunächst die Bescheidung seines Antrages abzuwarten. Wird der Antrag abgelehnt, garantiert das Grundgesetz die gerichtliche Überprüfung der Entscheidung, und zwar im Eilverfahren durch zwei Instanzen. Bleibt auch dies erfolglos, ist dem Betroffenen Zeit zu geben, freiwillig auszureisen. Erst dann ist die Abschiebung zulässig. Immer wieder höre ich jedoch, dass die Ausländerbehörde dieses Verfahrensgrundrecht verletzt. Viele schwersttraumatisierte Bürgerkriegsflüchtlinge trauen sich kaum noch, bei der Behörde vorzusprechen, weil sie panische Angst vor sofortiger Inhaftierung haben – ein im Rechtsstaat unhaltbarer Zustand.

Warum erlaubt die Behörde sich das?

Es ist effektiv und kostensparend, wenn man die Menschen direkt bei der Vorsprache verhaftet und abschiebt. Man darf jedoch nicht zur „Verwaltungsvereinfachung“ die Grundrechte ignorieren.

Mehrere abgeschobene Familien wurden getrennt. Wie passt das mit dem Grundrecht auf Schutz der Familie zusammen?

Das passt in vielen Fällen überhaupt nicht zusammen. Es können Verstöße gegen Artikel 6 des Grundgesetzes und Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorliegen. Besonders, wenn Familien durch die getrennte Abschiebung längerfristig auseinander gerissen werden.

Die Behörden wurden auch kritisiert, weil sie Kinder ins Gefängnis gebracht haben.

Minderjährige gehören nicht in Abschiebehaft. Unter Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit ist das absolut indiskutabel. Man soll die Kinder auch nicht von der Polizei aus der Schule abholen lassen, damit richtet man bei ihnen psychische Schäden an, die sich gar nicht absehen lassen. Im schlimmsten Fall sind die Kinder ihr Leben lang traumatisiert. Man kann die Familien ja auch gemeinsam zu Hause abholen. Innensenator Körting sollte dringend auf die Ausländerbehörde einwirken, dass sie solche Aktionen künftig unterlässt.

Warum haben Flüchtlinge, die Jahre hier leben, nicht längst ein Aufenthaltsrecht?

Das ist niemandem verständlich zu machen. Bürgerkriegsflüchtlinge hätten nach geltender Rechtslage sofort nach der Einreise eine Aufenthaltsbefugnis erhalten müssen, die im Regelfall nach acht Jahren in eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis umzuwandeln war. Man hat ihnen diesen Status wegen finanzieller Kompetenzstreitigkeiten zwischen Ländern und Kommunen nicht zugestanden und will die Flüchtlinge nun nach neun bis zwölf Jahren Aufnahme in Deutschland abschieben. Nur schwer traumatisierte Bürgerkriegsflüchtlinge erhalten – nur unter bestimmten Bedingungen – das ihnen längst zustehende Aufenthaltsrecht.

Dass die Kinder hier zur Schule gehen…

…und nun abgeschoben werden, nachdem sie voll integriert sind, ist nicht nur rechtlich, sondern auch gesellschaftspolitisch fragwürdig. Erst investieren wir jahrelang in die Kinder, die Deutschland dringend braucht, weil es hier zu wenig junge Leute gibt – und dann schiebt man sie ab.

Das neue Zuwanderungsgesetz stärkt die Rolle der Härtefallkommissionen, die für viele Flüchtlinge eine große Hoffnung sind.

Die Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien, die heute noch in Berlin leben, also schon seit neun bis zwölf Jahren, haben meistens Kinder, die hier zur Schule gehen, sie sind integriert. Meiner Meinung nach sind das alles Härtefälle. Neulich hat Innensenator Körting zum wiederholten Male gesagt, dass potenzielle Härtefälle in diesem Jahr nicht mehr abgeschoben würden. Aber die Ausländerbehörde handelt offenbar vielfach anders. Also muss der Senator der Behörde klarere Weisungen erteilen.

Der Flüchtlingsrat fordert eine Schlussstrichregelung für die rund 2200 noch in Berlin lebenden Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien.

Das läge sicher im allseitigen Interesse. Gerade diese Flüchtlinge sind extrem integrationsbereit, wir würden einen großen Aufwand bei Behörde und Gerichten sparen und könnten endlich durch die Erteilung von Arbeitserlaubnissen den Sozialetat entlasten. Die Flüchtlinge, insbesondere die Kinder, könnten ihre Zukunft planen. Leider muss es darüber Konsens auf Bundesebene geben. Aber die Innenverwaltung kann zumindest schon von sich aus eine großzügige Entscheidungspraxis in Einzelfällen anordnen.

Percy MacLean (57) leitet seit 2002 das Berliner Institut für Menschenrechte. Der gebürtige Thüringer mit schottischen Ahnen lässt dafür sein Richteramt ruhen.

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