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Berlin: Bei Schwarz und Grün passt so manches – nur will es keiner laut sagen

Früher haben die Parteien sich angegiftet und angeschwiegen, jetzt entdecken sie Gemeinsames – ermutigt von einer rechnerischen Umfrage-Mehrheit

Mathematik und Politik passen wieder einmal nicht zusammen: Auf 49 Prozent der Wählerstimmen kommen CDU und Grüne laut einer Infratest-dimap-Umfrage für den Tagesspiegel. SPD und PDS erreichen, wie berichtet, zusammen 40 Prozent. Und dennoch glauben nicht einmal wahlkampfgestählte Berufsoptimisten in der CDU daran, dass der rot-rote Senat ins Wanken gerät. Jedes Wort über eine schwarz-grüne Liaison, die 2006 zu einer neuen Regierung führen könnte, wird abgewogen. Schwarz-grün soll nicht so gegeben wirken, wie es sich rechnerisch darstellt; nicht als wahrscheinliches Modell erscheinen, bestenfalls als denkbares.

Die Gründe für die Vorsicht, wie sie CDU- und Grünen-Politiker beim Reden über Schwarz-Grün erkennen lassen, haben mit dem Absturz der CDU in der Bankenkrise und mit der grünen Gründerzeit als stramm linker Partei zu tun. Der CDU-Landesgeschäftsführer Matthias Wambach sagt es drastisch: Die CDU habe es geschafft, „dass die Berliner wieder ein Stück Brot von uns nehmen.“ 33 Prozent bei der Frage, für welche Partei die Leute votierten, wenn am nächsten Sonntag gewählt würde – damit sei „ein Etappenziel“ bei dem Versuch erreicht, vertrauenswürdig zu erscheinen. Die Bemerkung erinnert an den Sturz von 1999, an die Spendenaffäre, den Bruch der großen Koalition – und an die Blessuren, die sich alle in der CDU zugezogen haben, die mitstürzten. Jetzt zählen weniger inhaltliche Strategien, jetzt dreht sich alles um Vertrauen und Glaubwürdigkeit.

Deshalb ist kein verbales Getöse und Gejohle über den schwächelnden Senat zu hören. Nach dem Krach um den ehemaligen Fraktionschef Frank Steffel im Mai hätten dessen Nachfolger Nicolas Zimmer und der neue Landesvorsitzende Joachim Zeller gezeigt, dass die CDU „über Sachkompetenz“ verfüge, sagt Wambach. Und außerdem über Personen, mit denen sich ein grüner Politiker wie der ehemalige Justizsenator Wolfgang Wieland zur Debatte an einen Tisch setzen. Das ist für Wieland ein Fundamental-Unterschied zwischen der Diepgen- und Landowsky-CDU und der noch namenlosen CDU, die Zimmer und Zeller führen: Mit den Machern der West-Berliner CDU hätte sich einer wie er nicht zusammengesetzt, weil er den Streit sinnlos gefunden hätte. Mit Zeller streitet er, weil sich dabei Annäherungen und Unterschiede zeigen.

Gemeinsamkeiten sind erkennbar. Die Berliner CDU mit ihrer Neigung zum Sozialen findet bei den Grünen Haushaltsfachleute, deren Herzen in ähnlichem Rhythmus schlagen. Eine brutale Haushaltssanierung mit betriebsbedingten Kündigungen in der Verwaltung und geschlossenen Zoos wollen Schwarze und Grüne nicht. Zeller sieht noch mehr Verbindendes: Über Investorenfreundlichkeit könne man jetzt mit den Grünen reden, über Gemeinsamkeiten in der Bildungs- und Sozialpolitik. Es gebe jedenfalls „mehr Gemeinsamkeiten als vor drei oder vier Jahren“, sagt der Landes-Chef. CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer sagt, die ungewöhnliche Berliner Situation fordere, über hergebrachte politische Tabus hinwegzusehen.

Wieland stellt fest, das schwarz-grüne Gespräche „wenig Aufgeregtheit“ unter Grünen hervorrufen, auch wenn der Gedanke vielen noch „streng gewöhnungsbedürftig“ erscheine. Im parlamentarischen Alltag sind Absprachen längst normal geworden. CDU und Grüne verabreden die Klage gegen den Doppelhaushalt, sie geben gemeinsame Erklärungen heraus, sie besprechen die Einrichtung einer Enquetekommission zum Haushalt. Man trifft sich: Begründet durch den Verzicht der Grünen auf Dienstwagen, gibt es Gelegenheit schwarz-grüner Fahrgemeinschaften, sagt ein Abgeordneter.

Andererseits wissen die Wahlkämpfer beider Parteien, wie skeptisch die jeweiligen Anhängerschaften auf die Missachtung der Lager-Grenzen reagieren würden. Die schwarz- grüne Mehrheit könnte sich in Richtung FDP und PDS verlieren, wenn sich CDU und Grüne dieser Mehrheit zu sicher glauben. Also redet man möglichst viel miteinander und eher freundlich-allgemein übereinander. Immerhin sind die Kontakte geknüpft, von Tabus redet keiner mehr. Im Januar will sich Nicolas Zimmer als Fraktionschef bestätigen lassen. Die Mehrheit wird wohl deutlicher ausfallen als 18 zu 17, wie im Mai – und so ein Ergebnis enthält durchaus den Auftrag, die schwarz-grüne Option zu entwickeln.

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