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Julia Graf und Michel Schüler haben Berlins ersten Rollschuhtanzverein „Rollers Inc.“ vor acht Jahren gegründet.

© Nora Noll

Berlin-Kreuzberg: Auf Rollen durch den Karneval der Kulturen

Beim Umzug auf dem Karneval der Kulturen laufen auch Rollschuhtänzer mit. Die Siebzigerjahre-Trendsportart erlebt ein Revival.

Sie schweben über den Teer. Zu fetten Beats schwingen die Füße in Achterlinien, Zickzack oder Kreuzschritten über den Boden, wippen im Takt eines Hiphop-Tracks. Berlins Rollschuhtänzer bringen zum Umzug während des Karneval der Kulturen am Sonntag „wheels and music“, also Rollen und Musik, auf die Kreuzberger Straßen. Was nach kinderleichter Schwerelosigkeit aussieht, ist harte Arbeit.

Die „Rollers Inc.“ trainieren zweimal die Woche, dienstags ist Anfänger- und donnerstags Fortgeschrittenenkurs. Julia Graf hat die Gruppe zusammen mit Michel Schüler vor acht Jahren gegründet und hilft nun neben ihrem eigentlichen Beruf als Schauspielerin und Moderatorin ehrenamtlich bei den Veranstaltungen und Kursen mit.

Als Graf mit dem Rollschuhtanz anfing, fühlte sie sich auf den acht Rollen unter ihren Füßen erst mal sehr unsicher. „Dreimal wollte ich aufhören, ich dachte, ich krieg das nie hin“, erzählt sie, „dann hat sich ein Schalter umgelegt und ich hatte plötzlich den Dreh raus.“ Der Dreh besteht aus drei wichtigen Elementen: in die Knie gehen, im Wechselschritt das Gewicht nach links und rechts verlagern und die Musik fühlen. So erklärt sie es auch den Kindern, die bei kostenlosen Workshops der „Rollers Inc.“ erste Erfahrungen auf Rollschuhen machen.

Bunte Kostüme beim Karneval der Kulturen

© M. Gambarini/ dpa

Auch Michel Schüler hat klein angefangen: Als Kind schnallte er sich die Rollen um und drehte erste Kreise im Hinterhof, mit 12 Jahren entdeckte er Rollerdiscos für sich. Seitdem gehört der Sport zum Leben des freischaffenden Künstlers. In Deutschland ebbte der Trend nach den 80er Jahren ab. Skateboards und Inlineskates verdrängten den Rollerdance.

„Diese Mischung aus Musik und Sport ging ein bisschen verloren, stattdessen waren Fitness und Schnelligkeit wichtig“, erzählt Schüler. Doch er wollte seinen Lieblingssport mit anderen Gleichgesinnten weiterführen und begann 2009 über einen Mail-Verteiler die Rollschuhszene zu vernetzen und Events bekannt zu geben. Dann kamen gemeinsam organisierte Kurse und eine Rollschuhdisco in der Neuköllner Eventlocation Huxley’s dazu – und der Name „Rollers Inc.“ für den ersten Berliner Rollerdance-Verein.

Seitdem haben die große, jährliche Party im Huxleys und der kleinere, monatliche Ableger im Kreuzberger SO36 auch außerhalb der Rollschuhszene Kultstatus erlangt. Das Publikum ist bunt gemischt, „neben dem 70-jährigen vollbärtigen Herren fährt der junge Mann im uralten Adidas-Sportanzug“, beschreibt Graf eine Nacht auf der Roll- und Tanzfläche.

Der Retro-Boom hat die Rollschuhpartys wieder populär gemacht

Während Anfänger und ältere Fahrer ihre Runden ziehen, sammeln sich in der Mitte und an freien Seitenflächen die Tänzer, um zusammen Tricks und Schritte auszuprobieren. Besonders dieses Gemeinschaftsgefühl schätzt Michel Schüler an den Rollschuhdiscos. „Zuerst tanzen zwei Leute, dann kommen sechs dazu und plötzlich sind es 20 Tänzer, die ihre Energie miteinander teilen.“

Partys auf Rollen sind wieder populär, der Retro-Boom der vergangenen Jahre spielt da sicher auch eine Rolle. Die Leute von „Rollers Inc.“ wollen den Rollschuhtanz als moderne Sportart etablieren, trotzdem gibt es auf den Partys eigentlich immer ein paar Rollschuhfahrer mit bunten 70er-Jahre-Perücken oder Schweißbändern auf dem Kopf. Und in den Kursen, erzählt Julia Graf, sei manchen Teilnehmern der richtige Style – Vintageschuhe, Kniestrümpfe, farblich passendes Kostüm – sehr wichtig. Der Trend ist auch in der Werbung angekommen – regelmäßig gehen beim Verein Anfragen für Rollergirls ein, die in Werbefilmen oder Musikvideos auftreten sollen.

Um den Rollerdance „ins Jetzt zu schmeißen“, wollen sich Graf und Schüler klar vom Retro-Klischee abheben. Da spielt auch die Musik eine große Rolle: Michel Schüler legt bei den monatlichen Veranstaltungen im SO36 selbst auf und spielt eine Mischung, die Songs aus den 70ern mit aktueller Musik verbindet.

Auf ein bestimmtes Genre legt er sich dabei nicht fest, aber drei Bestandteile sind Voraussetzung für einen rollschuhtauglichen Groove: Ein „bounciger“, also federnder Rhythmus, ein markanter Beat und darüber eine Melodie. Der Bounce sei besonders wichtig, um richtig in die Knie gehen zu können, und der langsame, fette Beat gibt genügend Zeit für die Beinbewegungen, erklärt Julia Graf. Dafür remixt Michel Schüler zum Beispiel einen Hiphop-Song und Elektro-Tracks und orientiert sich an US-amerikanischen DJs, die sich in der Skater-Szene einen Namen gemacht haben, in Europa aber noch kaum bekannt sind.

Mit genügend Übung lässt es sich aber zu jeder Musik auf Rollen tanzen. Graf nimmt ihre Schuhe auch in normale Clubs mit und mischt sich unter das Fußvolk. Die Tanzflächen seien meistens eben genug und die anderen Clubgänger freuen sich über ihre Tanzeinlagen. „Aber bei Zigarettenstummeln und Zitronenscheiben muss ich schon etwas aufpassen.“

Am Sonntag muss sie auch auf Dellen und Schlaglöcher achten, dann werden die Leute von „Rollers Inc.“ nämlich als Teil des Umzugs beim Karneval der Kulturen durch die Kreuzberger Straßen tanzen. Die Gruppe hat mehrere Performances vorbereitet, unter anderem eine Choreografie mit französischen Rollschuhtänzern, die in einem gemeinsamen Workshop in Paris erarbeitet wurde. Während der Parade ist jeder, der alte Skates herauskramt oder sich extra bunte Flitzer zugelegt hat, in den Reihen der Tänzer willkommen.

Die große jährliche Rollerdisco steigt heute Abend ab 20 Uhr im Huxley’s, Hasenheide 107-113, Neukölln. Der Eintritt kostet zehn Euro. Wer keine Rollschuhe hat, kann sie vor Ort für fünf Euro die ganze Nacht leihen.

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