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Michael Müller im Tierpark

© dpa

Berlin sagt Danke: Der Sonntag gehörte den Flüchtlingshelfern

Rund 130 Berliner Attraktionen boten freien Eintritt. Tausende nahmen das Angebot gerne an. Sie schlenderten durch Zoo und Tierpark, lauschten Konzerten oder besuchten Museen.

Und wo sind jetzt die Elefanten? Gar nicht so einfach, das Dickhäuterhaus zu finden, erst recht für all die Kleinen und Großen und Jungen und Alten, die zum ersten Mal hier sind, und davon gibt es jede Menge an diesem kühlen Sonntag im Januar. Bekanntlich lässt der Berliner sich nicht lange bitten, wenn er etwas umsonst bekommt, und heute gibt es sozusagen die gesamte Stadt zum Nulltarif.

Was für eine schöne Gelegenheit, um mal bei dem zu Neujahr geborenen Elefantenbaby Edgar vorbeizuschauen, sagen sich auch die Eltern aus Charlottenburg oder Wilmersdorf und machen sich auf die kleine Welt-Stadt-Reise zum Tierpark nach Friedrichsfelde.

130 Aktionen machen mit

Berlin sagt Danke –so heißt die Aktion, mit der die Stadt das Engagement all derer würdigt, die sich in den vergangenen Monaten in der Flüchtlingshilfe engagiert haben. Theater und Museen, Schwimmbäder und Eisstadien, Philharmonie, Konzerthaus, Funkturm, Zoo oder Tierpark – um die 130 Attraktionen gönnen ihren Kassierern einen freien Sonntag oder stellen sie ab für ein stadtweites Begrüßungskomitee.

Berlin bedankt sich bei Berlin, genauer gesagt: Bei jedem, der einen zwischen Pankow und Lichtenrade ausgestellten Personalausweis dabei hat, aber diese Einschränkung wird nicht mit preußischer Konsequenz verfolgt. Wir sind zwar nicht mehr Papst, aber Flüchtlingshelfer.

Der Tierpark fügt sich mit Hunderten dauerhaft sesshaft gewordener Migranten aus Afrika, Asien, Australien, Amerika und sonstwo aus der Welt schön in die Symbolik dieses Tages. Schon am frühen Vormittag sind in der Straßenbahn vom Bahnhof Schöneweide die Plätze knapp.

Ansturm auf Elefantenbaby

Vorn am Eingang des Tierparks, sammelt sich eine Gruppe junger dunkelhaariger Männer, sie mögen aus Syrien sein oder Afghanistan oder aus dem Irak, interessiert hier keinen und sie selbst am allerwenigsten. Lachend und singend trotten sie ihrem Guide hinterher, die Mobiltelefone für die obligatorischen Selfies in die Höhe gereckt. Ein paar Meter weiter fragt eine Frau mit Kopftuch eine von drei blonden Jungen umtanzte Mama, wo denn nun das berühmte Elefantenbaby sei.

Die Mama hebt entschuldigend die Arme und verweist auf einen der Männer im dunklen Tierpark-Pullover. „Im Prinzip immer geradeaus,“ sagt der Mann, „aber passense an den Brücken auf, lassense sich unterwegs nicht irritieren, bloß nicht ab nach links zu den Kamelen abbiegen oder nach rechts zu den Raubtieren.“ Fragende Augen auf der anderen Seite. „Na, Sie können auch mit der Bahn fahren“, und da kommt sie auch schon. Dschungelgrün angemalt, mit Löwen, Schlangen, Affen, Leoparden und was Kinderaugen sonst noch so erfreut. Allgemeines Gebrüll setzt ein und ein Wettlauf um die besten Plätze.

Der Bahnhof Zoo mag längst vom großen Verkehr abgekoppelt sein. Der in Charlottenburg oder Wilmersdorf nicht ganz so bekannte Tierpark aber verfügt seit ein paar Monaten über eine Elektrobahn, die allerlei Sehenswürdigkeiten abklappert, und davon gibt es einige im größten Landschaftstiergarten Europas. Ein Viertelstündchen dauert die Fahrt zu den Elefanten, vorbei an den Wisenten und dem Spielplatz, wo die Eltern schon einiges an Überzeugungskraft aufbringen müssen, um den Kleinen den Sprung vom Trittbrett auszureden.

Vor dem Dickhäuterhaus staut sich der Publikumsverkehr, was vor allem an dem winzig kleinen Elefanten Edgar liegt. Ein bisschen aber auch an einem großen Tier, das sich zum Berlin-sagt-Dank-Tag die Ehre gibt.

Berlin lernt sich selbst kennen

Dem Ehrengast Michael Müller wird das Privileg zuteil, Edgar durch den Tierpflegereingang zu besuchen. In den Köpfen einer Hundertschaft von Kindern auf der anderen Seite des Gitters reift in diesem Augenblick der Berufswunsch Regierender Bürgermeister heran.

Rechts redet der Zoodirektor Andreas Knieriem auf ihn ein, links tappst Edgar durchs Gehege, misstrauisch flankiert von seiner Mutter Kewa. Müller springt kurz als Fütterhelfer ein, posiert für ein Foto und wirkt ganz zufrieden damit, dass fast alle Objektive auf Edgar gerichtet sind. Nach zehn Minuten ist der Besuch beendet und der Regierende Bürgermeister auf dem Weg zum nächsten Termin. Von der östlichen Peripherie ins westliche Zentrum, wo 1000 Gäste seiner Einladung zum Lunchkonzert in der Philharmonie folgen.

Es ist ein schöner Nebeneffekt dieses Gratissonntages, dass sich Berlin selbst ein bisschen besser kennenlernt, im Osten wie im Westen. Auch im Aquarium und auf dem Funkturm ist der Andrang heute sehr viel größer als an einem normalen Sonntag.

Und dann ist da noch das dritte Berlin, ohne originären Bezug zu den politischen Himmelsrichtungen der Stadt, sondern nur zu Besuch für ein verlängertes Wochenende oder ein paar Tage mehr. Das dritte Berlin vertreibt sich die Zeit gern rund um die Gegend am Hackeschen Mark, wandelt diesmal auf ungewohnten Wegen jenseits der üblichen Cafés und Bars. Welcher Tourist weiß für gewöhnlich schon, wo sich das Anne-Frank-Zentrum befindet?

Codewort "Berlin"

Am Danke!-Sonntag füllt sich die Ausstellung in einem Hinterhof der Rosenthaler Straße wie sonst nur beim Besuch von Schulklassen. „Ist viel mehr los als sonst“, sagt die Frau an der Kasse. Ob die Gäste alle in der Flüchtlingshilfe aktiv sind? „Keine Ahnung, aber alle wollten umsonst rein und kannten das Codewort“, es lautete der Einfachheit halber „Berlin“.

Eiskalte und nachdenkliche Stille macht sich um die Vitrinen breit, um die Fotos von Anne Frank, ihre Tagebuchseiten und die Tafeln zum historischen Kontext. Auch das dritte Berlin wird diesen Sonntag nicht so schnell vergessen.

Michael Müller hat inzwischen den Programmpunkt Philharmonie abgehakt und sich auf den Weg nach Hause gemacht. Nein, nicht zur Familie nach Tempelhof, sondern ins Rote Rathaus. Über den roten Teppich geht es 39 Stufen hinauf in die erste Etage, zum „Markt der Möglichkeiten“ im Wappensaal. Hier schließt sich der Kreis.

All jene Berliner, die zuvor neugierig durch Museen oder Theater gestapft sind, werden in geballter Form darauf hingewiesen, wo sie sich überall im Alltag engagieren können. „Die größte gemeinsame Aufgabe liegt noch vor uns, die Integration der vielen Menschen in unsere Gesellschaft“, ruft Müller in den Saal. „Diese Aufgabe gelingt nur, wenn wir unsere Kräfte bündeln und gemeinsam die Herausforderungen anpacken.

Das Rote Kreuz ist mit einem Stand vertreten, der Verein „Kreuzberg hilft“, oder der „Unterstützerkreis Windmühle“ aus Britz, er betreut 54 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Vielleicht fahren sie gerade mit der dschungelgrünen Elektrobahn durch den Tierpark auf ein Selfie mit Edgar, dem an Neujahr zugewanderten Elefantenbaby.

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