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Berlin: Berlin schmeißt nichts mehr weg

Ab Juni darf Müll nicht mehr auf Deponien landen. Das Verbot hat den Berliner Müllmarkt umgekrempelt

Wenn Eric Schweitzer den Deckel seiner Mülltonne lüpft, sieht er einen wertvollen Rohstoff. Das Öl der Zukunft. Schweitzers Firma Alba sammelt, trennt, und verarbeitet Müll und erzielt damit einen Jahresumsatz von gut 650 Millionen Euro. Für die meisten Berliner steht Alba für das erfolgreiche Basketballteam. Dass der Geldgeber hinter den Korbwerfern einer der größten privaten Investoren der Stadt ist, ist weniger bekannt. Dabei legt das Familienunternehmen Alba zwischen 2003 und 2005 nicht weniger als 100 Millionen Euro in der Hauptstadt an. Am ersten Juni nimmt der Entsorger gemeinsam mit der Berliner Stadtreinigung (BSR) eine neue Aufbereitungsanlage in Reinickendorf in Betrieb. Das ist der Beginn eines neuen Kapitels in der Abfallhistorie der Hauptstadt: Ab jetzt schmeißt Berlin nichts mehr weg.

Hintergrund ist eine EURichtlinie, die vorschreibt, dass Abfälle ab dem 1.Juni 2005 nicht mehr unbehandelt auf Deponien gelagert werden dürfen. In Berlin fällt jährlich knapp eine Million Tonne Müll an. Bislang landete die Hälfte des Berliner Abfalls auf Brandenburger Halden. In Zukunft wird ein Teil des Mülls in „mechanisch-physikalischen Stabilisierungsanlagen“ (MPS) zu Brennstoff verarbeitet. In Reinickendorf werden jährlich 160000 Tonnen verwertet, noch einmal so viel in einer baugleichen Anlage in Pankow, die 2006 fertig gestellt werden soll. 40 Millionen Euro hat Alba pro Anlage investiert. „Das sind hochinnovative Anlagen, die nicht nur 100 Arbeitsplätze in Berlin schaffen, sondern auch die Umwelt schonen, da weniger CO2 in die Atmosphäre gelangt“, sagt Alba-Vorstand Eric Schweitzer, der auch der Berliner Industrie- und Handelskammer vorsteht.

Wer die aluminiumverkleideten MPS-Gebäude in der Reinickendorfer Markscheiderstraße sieht, würde eher auf ein Logistikzentrum tippen als auf eine Müllverwertungsanlage. Von außen ist kein Dreck zu sehen. Nur die orangefarbenen BSR-Fahrzeuge weisen auf den Zweck der Anlage hin. Sie kippen ihre Ladung in einen tiefen Graben, Metalle und Sperrmüll werden automatisch aussortiert. Kern der Anlage ist eine gigantische rotierende Trockentrommel, vier Meter hoch und 15 Metern lang. Hier wird dem Müll Feuchtigkeit entzogen – rund 30 Prozent des Abfalls bestehen aus Wasser. Die brennbaren Reste werden zu so genannten „Pellets“ gepresst: fingergroße Müllwürste, die verfeuert werden. Sie werden an das Kraftwerk Jänschwalde und das Zementwerk in Rüdersdorf geliefert. „Durch die MPS-Technik erreichen die Pellets einen Brennwert, der dem von Braunkohle entspricht“, sagt Rüdiger Oetjen-Dehne, der die Anlage mitkonzipiert hat. Allerdings bringen sie noch kein Geld ein, da durch das EU-weite Deponieverbot jede Menge Müll auf dem Markt ist. Für jede Tonne Pellets, die ein Kraftwerk abnimmt, zahlt die MPS GmbH 30 bis 40 Euro.

An der MPS-Technik finden auch Umweltschützer Gefallen. „Unter ökologischen Aspekten sind die MPS-Anlagen eine sehr gute Lösung“, sagt Gudrun Pinn, Abfallexpertin des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). „Es war seit Jahren überfällig, die Deponien stillzulegen, die Boden und Wasser verseuchen.“ Die Energieeffizienz von MPS ist höher als in einer klassischen Müllverbrennungsanlage (MVA), wie sie in Ruhleben steht. Der BSR-Dinosaurier aus dem Jahr 1967, laut BSR durch Umbau auf dem Stand der Technik, schluckt weiterhin gut die Hälfte des Berliner Mülls.

An der MPS-Anlage ist nicht nur die Technik neu, sondern auch die Betriebsorganisation: Die MPS GmbH ist eine so genannte Public Private Partnership (PPP), an der Alba und die BSR je zur Hälfte beteiligt sind. Ein erster Schritt auf dem Weg zur Liberalisierung des Berliner Müllmarktes, denn bisher war der Hausmüll ein BSR-Monopol. Berlin hatte den Auftrag zur Entsorgung der 460000 Tonnen Müll, die bisher auf Deponien landen, öffentlich ausgeschrieben. 230000 Tonnen davon gingen an die MPS GmbH von Alba und BSR. Die andere Hälfte wurde an private Entsorger vergeben: Ein Teil ging an die Brandenburger Unternehmensgruppe Otto-Rüdiger Schulze, der andere Teil an eine Bietergemeinschaft aus Alba und der Brandenburger Meab.

Die Wiederverwertung ist auf kurze Sicht gesehen teurer als die Deponielagerung. Deswegen hat die BSR ihre Müllgebühren für Privathaushalte Anfang des Jahres um durchschnittlich 14,4 Prozent angehoben. „Bis Ende 2006 bleiben die Preise stabil“, sagt BSR-Sprecher Thomas Klöckner. Erst im nächsten Jahr prüft die BSR, ob weitere Erhöhungen anstehen. Für Gewerbemüll steigt der Tonnenpreis ab Juni auf 89 Euro. 2004 hatte er noch bei 64 Euro gelegen. „Damit liegen wir bei den Müllpreisen deutschlandweit im Mittelfeld“, sagt Rainer Stock, Umweltexperte der Industrie- und Handelskammer. Die IHK setzt langfristig auf eine Privatisierung des Müllmarktes. 2015 läuft der Monopolvertrag für Hausmüll zwischen BSR und Stadt aus.

Alba-Chef Schweitzer hofft, in Zukunft Brennstoff aus Müll an Kraftwerke verkaufen zu können. „Die natürlichen Rohstoffe Öl, Gas und Kohle werden knapper und dadurch teurer. Daher werden Sekundärrohstoffe in Zukunft eine wichtige Rolle spielen“, sagt Schweitzer. Wenn Kraftwerke für Müll bezahlen, könnte der Preis für die Müllabholung sinken. „Aber schreiben Sie nicht, Schweitzer hat versprochen, dass demnächst die Müllgebühren sinken. Das wird noch viele Jahre dauern.“

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