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Außer der Reihe. Das Haus im Fliegerviertel in Berlin-Tempelhof stand lange leer. Jetzt wurde es versteigert.

© Kai-Uwe Heinrich

Berlin-Tempelhof: 83.000 Euro für ein Haus am Flughafen? Viel zu günstig!

Für 83.000 Euro stand ein Reihenhaus im Fliegerviertel nahe dem ehemaligen Airport zur Auktion – das ließ hunderte Interessenten hoffen.

Sollte das Wohnglück in Berlin etwa doch bezahlbar sein? Haus mit Garten, verkehrsberuhigter Straße, fünf Fahrradminuten vom Bergmannkiez entfernt und das für ein Mindestgebot von 83 000 Euro? Was es mit diesem Angebot auf sich hat, das seit ein paar Wochen auf verschiedenen Internetseiten steht, wollen etwa 300 Leute wissen und drängeln sich am Mittwochmorgen vor dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg. Eine Justizbeamtin sagt, so einen Andrang habe sie noch nie gesehen bei einer Zwangsversteigerung. Aber jeder hofft hier darauf, das Glück in der Immobilienlotterie möge doch einmal ihn treffen.

Das Haus selbst steht seit acht Jahren leer, und weil sich die Erbengemeinschaft zerstritten hat, war vorher keine Möglichkeit zur Besichtigung. Die Sanierungskosten werden im schlimmsten Fall auf bis zu 300 000 Euro geschätzt, wenn auch das Dach neu gedeckt werden müsste und sich Hausschwamm ausgebreitet hat. Das scheint keinen abzuschrecken. Das Haus in der Wiesenerstraße gehört zur Fliegersiedlung in Tempelhof, in kaum einer anderen Gegend Berlins stehen Reihenhäuschen so zentral.

Für das Haus mit 158 Quadratmetern Wohnfläche sollen 200 Bieter die Sicherheitsleistung von zehn Prozent des Verkehrswerts beim Gericht hinterlegt haben, zehn Prozent sind 16 500 Euro. Kurzfristig wird die Veranstaltung in den größten Saal verlegt. Doch auch der reicht nicht aus. Von beiden Seiten des Flures stehen die Interessenten, Paare in allen Altersstufen, junge Eltern, die ihre Kinder vor dem Bauch tragen oder im Kinderwagen schieben.

Justizbeamte vor dem Saal rufen nun die Gebote durch die Flure, „Entschuldigung, bietet jemand mehr als 100.000 Euro?“ An beiden Enden stehen sie und halten wie Schaffner grüne Karten hoch, wenn kein neues Gebot kommt oder eine rote, wenn sich jemand gemeldet hat. Der darf dann in den Saal. Bei 220 000 Euro leeren sich die Flure. Doch viele bleiben, sie wollen wissen, wie es ausgeht. Bei 480.000 Euro scheint das Ende erreicht zu sein. Es entsteht eine Pause. Doch offenbar nur, weil die letzten Interessenten noch einmal Luft holen wollen für höhere Gebote. 482.000, 490.000, 495.000, 499.000. Bei 499.000 schaut die Versteigerungsleiterin in die Runde, sagt: „499.000 Euro zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten“ und lächelt eine Frau an, die in der ersten Reihe sitzt. Der Saal klatscht, auch im Flur gibt es Applaus.

Die Gewinnerin fächert sich mit ihrer Bieterkarte Luft zu. Eine Frau mit gut gebräuntem Gesicht, vielleicht Mitte vierzig, ansonsten eher unauffällig. Ihren Namen wolle sie nicht in der Zeitung lesen, sagt sie freundlich. Ist sie Berlinerin? Will sie selbst darin wohnen? Hat sie eine emotionale Bindung zur Siedlung, zur Straße, zum Haus? All das möchte sie nicht beantworten. Ihr männlicher Begleiter jedoch, der hinter der Bank kniet, sagt: „Aber, dass wir hier wohnen, kannste doch sagen, und dass wir keine Immobilienhaie sind.“ Die Frau dreht sich zu ihm um, „pssst“, zischt sie und gibt ihm mit ihrer Bieterkarte einen Klaps auf den Kopf.

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