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Gegenwahlkampf. Die BIG-Partei wirbt um Stimmen mit einem anonymisierten SPD-Politiker (Name ist der Redaktion bekannt).

© dapd

Berlin-Wahl: "Schulfach Schwul": Stimmenfang mit Vorurteilen

Die BIG-Partei macht Stimmung gegen ein angeblich geplantes "Schulfach Schwul". Viele Mitglieder sind Migranten, man will aber keine muslimische Partei sein.

Mit dem Parteinamen können viele nichts anfangen, aber die meisten Forderungen des „Bündnisses für Innovation und Gerechtigkeit“ (BIG) klingen vernünftig: Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit für alle, mehr Maßnahmen zum Schutz der Kinder, Mut zur Vielfalt. Wäre da nicht dieses Flugblatt, das in der Stadt verteilt wird: Unter der Überschrift „Alle Kinder schützen“ spricht sich die BIG-Partei gegen ein „Schulfach Schwul“ an Berliner Schulen aus. Angeblich wolle die Landesregierung nämlich genau das einführen und im Unterricht für Homosexualität werben – und zwar schon ab dem ersten Schuljahr.

Das Bündnis tritt zum ersten Mal bei der Abgeordnetenhauswahl an, es hat sich erst im Mai vergangenen Jahres gegründet. Laut dem Berliner Spitzenkandidaten Ismet Misirlioglu gibt es bisher 70 aktive Mitglieder, die meisten sind türkischer Herkunft, andere haben Vorfahren aus Pakistan, Indien, Bangladesch oder dem Libanon. Zu der RBB-Diskussionsrunde am Donnerstagabend, bei der die Vertreter von dreizehn kleinen Parteien antraten, schickte die BIG Heike Canbulat, eine Deutsche, die einen Türken geheiratet hat. Man sei keine Migrantenpartei, gab sie zu Protokoll – die Muslimin erklärte ihre eigene Anwesenheit aber auch damit, im Islam sei es Pflicht, Frauen zu fördern.

Heike Canbulat verteidigte während der Fragerunde das umstrittene Flugblatt.
Heike Canbulat verteidigte während der Fragerunde das umstrittene Flugblatt.

© Kai-Uwe Heinrich

Der Berliner Parteivorsitzende Ismet Misirlioglu sagt, seine Mitstreiter und er seien längst in der Gesellschaft angekommen. Schon gar nicht will die BIG-Partei als homophob gelten. Mit dem Flugblatt wolle man nur verhindern, dass Schülern künftig Homosexualität „schmackhaft“ gemacht werde, sagt der Spitzenkandidat. Dass der Senat in Wahrheit überhaupt kein „Schulfach Schwul“ plant, ist Misirlioglu klar. Die Kampagne seiner Partei geht auf den Artikel einer Berliner Boulevardzeitung vom Juni zurück, in dem zugespitzt über eine neue Aufklärungskampagne an Schulen berichtet wurde. Tatsächlich können Lehrer künftig auf Unterrichtsmaterialien zurückgreifen, die die „Akzeptanz verschiedener Lebensstile“ thematisieren. Neben Patchworkfamilien und alleinerziehenden Müttern kommt auch ein schwules Pärchen vor.

Auf dem Flugblatt der BIG-Partei liest sich das allerdings anders. Es suggeriert sogar, Schüler sollten künftig bereits ab der ersten Klasse Begriffe wie „Darkroom“ oder „Selbstbefriedigung“ pantomimisch darstellen. Auch das ist falsch. Der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg spricht inzwischen von „homosexuellenfeindlicher Hetze im Wahlkampf“ und warnt davor, die BIG-Partei wolle „Gesellschaftsgruppen gegeneinander ausspielen“.

Ismet Misirlioglu kann diese Kritik nicht nachvollziehen. Seine Partei beschreibt der 45-Jährige, der aus der Türkei stammt und seit 1980 in Berlin lebt, als „pragmatisch und lösungsorientiert“. Viele Mitglieder seien ehemalige Sozialdemokraten, die sich enttäuscht von der SPD abgewandt hätten, weil Thilo Sarrazin nicht aus der Partei geworfen wurde.

Sarrazins Konterfei sieht man derzeit auch auf vielen BIG-Plakaten in der Stadt, darunter der Slogan: „SPD schafft sich ab.“ Noch ein anderes Wahlkampfplakat der Kleinpartei hat in den vergangenen Wochen Aufsehen erregt, allerdings nur wegen vieler Rechtschreibfehler. Der Name Thilo Sarrazin stand dort groß mit einem R und zwei Z geschrieben, darunter die Forderung „Ja zu ein respektvolles Miteinander“.

Das Plakat mit dem Fehler sei nicht ironisch zu verstehen, versichert Ismet Misirlioglu. Ein Parteikollege habe die Plakate aus Kostengründen in China drucken und dann einschiffen lassen. Dort hätten sich die Fehler eingeschlichen. Der nächste Wahlkampf werde professioneller, man stehe schließlich noch ganz am Anfang.

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