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Berliner Beamte: Frühpensionäre wollen sich Urlaub auszahlen lassen

Acht Beamte waren zu krank zum Ferienmachen. Jetzt verlangen sie vom Land Berlin Entschädigung für die nicht genommenen Urlaubstage. Sie berufen sich auf Europarecht.

Von Fatina Keilani

Ein knappes Drittel der Berliner Beamten wird wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Vorher sind sie meist lange krank, können also keinen Urlaub nehmen. Sechs von ihnen fanden das ungerecht und zogen jetzt vors Verwaltungsgericht. Sie verlangen, dass ihnen der Urlaub ausgezahlt wird. Oberstudiendirektorin Doris K.-R. zum Beispiel möchte Entschädigung für 126 Tage Urlaub, Polizist Jens G. für 89 Tage, andere klagen zwischen 50 und 71 Tagen ein. Zwei weitere Beamte, die wieder arbeiten, möchten die Urlaubstage wenigstens gutgeschrieben bekommen. Sie alle berufen sich auf das Europarecht.

Eines stellte Richter Christoph Heydemann bei der Verhandlung am Mittwoch gleich zu Beginn klar: „Es geht hier nicht um ein zusätzliches Privileg für Beamte.“ Das schien dem Vorsitzenden der fünften Kammer wichtig zu sein: „Es geht darum, ob etwas, das nach Europarecht für Arbeitnehmer gilt, für Beamte entfällt.“

Wenn allerdings die acht Kläger Recht bekommen sollten, dann wäre das Gegenteil erreicht: Sie stünden wesentlich besser da als jeder andere Arbeitnehmer.

Die acht Kläger verbindet ein gemeinsames Schicksal: Sie wurden krank und blieben es lange, sechs von ihnen sind heute Frühpensionäre. Durch die Krankheit konnten sie keinen Urlaub nehmen. Sie berufen sich nun auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), der im Januar 2009 entschied: Arbeitnehmer, die ihren bezahlten Jahresurlaub krankheitsbedingt nicht wahrnehmen konnten, haben einen Anspruch auf finanzielle Vergütung. Allerdings nur, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wurde. „Sinn der Regelung ist, dass man sich den Urlaub nicht abkaufen lassen soll“, erklärte Richter Heydemann. So soll die Gesundheit der Arbeitnehmer geschützt werden.

Nun standen das Gericht, die erschienenen Anwälte und die Vertreter des Landes Berlin als Dienstherr vor einer Reihe von Fragen. Erstens: Sind Beamte überhaupt Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie? Der deutsche Beamte ist nämlich eine in Europa einzigartige Spezies. Wie zu erfahren war, wird er nicht fürs Arbeiten bezahlt, sondern dafür, dass er sich ganz und gar in den Dienst des Staates stellt und auf weiteres Gewinnstreben verzichtet. Dafür ist er gut abgesichert. Im Krankheitsfall bekommt er zum Beispiel unbegrenzt sein volles Gehalt bezahlt.

Zweitens: Endet das Arbeitsverhältnis mit der Pensionierung? Beamte bleiben Beamte, auch im Ruhestand. Anders als ein Arbeitnehmer können sie jederzeit reaktiviert werden; sie selbst haben auch das Recht auf Rückkehr in den Dienst.

Drittens: Kann der Anspruch verjährt sein, wenn er zu spät gestellt wird? Nach Berliner Recht verfällt ein nicht genommener Urlaub mit Ablauf des Folgejahres. Aber was ist, wenn Europa andere Regeln aufgestellt hat? „Oben sticht unten“, sagt Richter Heydemann. „Europarecht bricht nationales Recht, auch wenn das deutsche Recht dann völlig sinnentleert würde.“ Die Richtlinie, um die es hier gehe, sei allerdings offen für nationale Verjährungsregelungen. Was gilt, muss nun das Gericht entscheiden. Auch, wie viel Geld ein anerkannter Urlaubstag wert wäre. Das Urteil wird am 10. Juni verkündet.

Die Versorgungskosten für die Berliner Beamten haben sich in den letzten 20 Jahren auf jetzt 1,2 Milliarden Euro pro Jahr verdoppelt und werden weiter steigen. Frühpensionierungen sind ein weiteres Problem. Das Land hat in den vergangenen Jahren viel unternommen, um sie zu vermeiden, und damit auch Erfolg gehabt; die Zahl der Frühpensionierungen sinkt seit Jahren – auch weil die Ruhegehälter gesunken sind und das Pensionärsdasein finanziell nicht mehr so attraktiv ist.

Dennoch: Wenn die acht Kläger gewinnen sollten, könnten noch mehr Frühpensionäre, die vor der Pensionierung längere Zeit krank waren, Entschädigungen für entgangenen Urlaub fordern. Welche zusätzlichen Kosten dann auf das Land zukämen, vermag die Innenverwaltung nicht zu schätzen. Das Gericht hat schon angekündigt, dass es die Berufung zulassen wird. Äußerstenfalls könnte die Frage also wieder dort landen, wo sie ursprünglich losgetreten wurde: beim EuGH.

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