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Das Gefühl der anhaltenden Müdigkeit liegt vor allem an Tageslänge, erklärt Dietmar Kunz. Denn: "Wenn die Tage kürzer werden, stellt sich die gesamte Physiologie auch beim Menschen um."

© dpa

Berliner Experte über Wintermüdigkeit: „Stell dir vor, es ist Sommer“

Jeder kennt dieses Gefühl. Es ist lange dunkel, das Wetter trübe und kalt, die Lust, sich zu bewegen, nimmt ab. Der Schlafforscher Dieter Kunz spricht im Interview über unsere Wintermüdigkeit und über Strategien, wie wir mit ihr umgehen können.

Herr Kunz, warum sind eigentlich viele von uns im Moment tagsüber so müde?

Das ist nichts anderes als der Winterschlaf von Menschen. Der ist ja auch im Tierreich kein richtiger Schlaf, sondern eine Art Energiesparmodus des Körpers.

Wodurch wird er ausgelöst?

Durch die Tageslänge. Wenn die Tage kürzer werden, stellt sich die gesamte Physiologie auch beim Menschen um. Das ist das Ergebnis von vier Millionen Jahren Evolution: Nachts, wenn sie nichts sehen konnten, waren unsere Vorfahren in Gefahr, sie hatten allen Grund dazu, mucksmäuschenstill zu sein. Im Sommer dagegen waren sie weitaus länger wach, konnten auf Nahrungssuche gehen und sich fortpflanzen. Unsere Vorfahren steckten zudem sämtliche Energie in die Wärmeproduktion, um draußen nicht zu erfrieren. So erklärt sich das erhöhte Schlafbedürfnis, aber auch das vermehrte Bedürfnis nach kohlehydratreicher Nahrung, das viele im Winter verspüren.

Ist das alles nicht längst überwunden?

Winterspeck ist nicht mehr notwendig. Auch beim Schlaf stellen wir unsere Gewohnheiten nicht mehr so radikal um: Wir sind nicht mehr denselben Gefahren ausgesetzt, und wir können es uns auch gar nicht leisten, so lang im Bett zu bleiben.

Was können wir modernen Städter also gegen die Wintermüdigkeit unternehmen?

Es klingt einfach, ist aber oft kompliziert: Wir müssen unserem Körper vorgaukeln, dass nicht Winter ist, sondern Sommer! Vor allem in den Morgenstunden brauchen wir sehr helles, blauhaltiges Licht. Dafür sind Speziallampen mit hohen Lux-Zahlen nützlich, die es in allen Büroräumen geben sollte. Meist kommen im Innenraum nur 50 Lux am Auge an, die es kaum als helles Licht erkennt. Draußen sind es selbst an einem grauen Wintertag 2000 bis 3000 Lux. Am besten wäre es, viel bei Tageslicht draußen zu sein.

Glücklicherweise werden die Tage ja schon wieder länger. Warum befällt viele trotzdem erst jetzt die große Müdigkeit?

Untersuchungen zufolge erlebt ein Viertel der Bevölkerung saisonale Schwankungen des Befindens. Die meisten von ihnen leiden am meisten darunter, wenn wir uns auf den Februar zubewegen. Die saisonale Depression, die wir mit einer speziellen Lichttherapie behandeln können, kommt meist erst dann. Als Psychiater vermute ich, dass die psychologischen Phänomene der Biologie nachhinken: Die Betroffenen sind in der zweiten Hälfte des Winters etwas zermürbt von der lang anhaltenden Dunkelheit.

Dieter Kunz, 52, ist Chefarzt der Klinik für Schlafmedizin am Berliner St.-Hedwig-Krankenhaus.

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