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Bei der Razzia im April 2016 waren mehrere hundert Polizisten, Steuerfahnder und Zollbeamte vor Ort.

© imago/Jakob Hoff

Exklusiv

Berliner Landgericht: Kein Prozess gegen Großbordell Artemis

Zwei Jahre nach der Riesenrazzia ist von den Vorwürfen nichts übrig geblieben. Das Gericht hält die Argumente der Staatsanwaltschaft für unplausibel.

Für die Berliner Ermittler ist es die maximale Pleite: Zweieinhalb Jahre, nachdem 530 Einsatzkräfte das Großbordell „Artemis“ am Westkreuz bei einer Razzia gestürmt hat und die Staatsanwaltschaft den Betreibern anschließend Ausbeutung, Zuhälterei und Beihilfe zum Menschenhandel vorwarf, ist nichts von den Vorwürfen übrig geblieben. Wie der Tagesspiegel exklusiv erfuhr, hat das Berliner Landgericht jetzt entschieden, die Anklage der Staatsanwaltschaft nicht zuzulassen und das Hauptverfahren gar nicht erst zu eröffnen. Hakki Simsek, Betreiber des Unternehmens, spricht von einem „unsäglichen Skandal, der nun endlich ein Ende hat“.

Die Razzia fand im April 2016 statt – kurz vor Beginn des Wahlkampfs um das Abgeordnetenhaus. Der damalige Innensenator Frank Henkel (CDU) verfolgte sie mehrere Stunden lang von einem Parkplatz auf der anderen Straßenseite aus. Die Vorwürfe, die Ermittler am Tag danach auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit präsentierten, waren heftig: Frauen seien im Artemis „in Abhängigkeit gehalten und ausgebeutet worden“, der Betrieb basiere auf organisierter Kriminalität. Ein Staatsanwalt sagte, der Coup der Polizei erinnere an das Vorgehen gegen Mafiaboss Al Capone.

Die Betreiber kooperierten eng mit Behörden

Hakki Simsek und sein Bruder Kenan, der Mitbetreiber ist, landeten damals in Untersuchungshaft. Erste schwere Zweifel an der Arbeit der Ermittler kamen auf, als das Kammergericht die Betreiber nach vier Monaten auf freien Fuß setzte und einen dringenden Tatverdacht bestritt. Davon allerdings wollte die Staatsanwaltschaft nichts wissen, warf ihrerseits dem Gericht grobe Fehler vor.

Hakki und Kenan Simsek beteuerten stets ihre Unschuld – und zeigten sich über das Vorgehen der Ermittler schockiert. Denn gerade das Artemis hatte nach ihrer Aussage stets eng mit den Behörden kooperiert. Sowohl Landeskriminalamt und Zoll als auch Finanzamt und die Experten der „AG Rotlicht“ führten regelmäßige Kontrollen durch. „Sie haben vom ersten Tag an immer genau gewusst, wie alles abläuft.“

In der schließlich eingereichten Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, die dem Tagesspiegel vorliegt, ist von den ursprünglichen Vorwürfen der Ausbeutung und Beihilfe zum Menschenhandel gar nichts mehr zu lesen. Stattdessen beschränkten sich die Ermittler auf den Vorwurf, die im Artemis tätigen Prostituierten seien scheinselbstständig gewesen.

Prostituierte: Selbstständig oder nicht?

Der Betrieb dort läuft folgendermaßen: Sowohl Freier als auch Prostituierte zahlen eine Eintrittsgebühr von derzeit 80 Euro, können dafür die Räumlichkeiten nutzen und sich am Büffet bedienen. Für den Sex bezahlt der Freier die Prostituierte direkt, die Betreiber kriegen davon nichts ab. Der zentrale Punkt: Die Prostituierten arbeiten als Selbstständige, führen ihre Steuern nach dem sogenannten „Düsseldorfer Verfahren“ ab. Die Ankläger behaupten dagegen, den Prostituierten seien Preise, Arbeitszeiten und Sexpraktiken vorgeschrieben worden. Sie seien daher Arbeitnehmer.

Allein den Rentenversicherungsträgern sei so ein Schaden von 17 Millionen Euro entstanden. Zudem hätten die Simseks die internen Hausregeln gegenüber den Behörden absichtlich verschleiert. Auch diesen Vorwurf wiesen die Betreiber als „vollkommen absurd“ zurück: „Wir wollten immer größtmögliche Transparenz, haben mit den Behörden zusammengearbeitet, nie gegen sie.“

Die Anzeichen, dass von den Vorwürfen am Ende nichts übrig bleiben würde, hatten sich zuletzt verdichtet. Die jüngste Kontrolle des Finanzamts bestätigte den Betreibern erneut, dass die Prostituierten Selbstständige seien. Zudem finden sich in der Anklageschrift Punkte, die selbst für Nichtjuristen kurios klingen: Beweis für die Verschleierungsabsicht sei etwa, dass sich die Betreiber über den aktuellen Stand der Rechtsprechung im Bereich Selbstständigkeit auf dem Laufenden gehalten hätten – zudem hätten sie ihre Hausregeln stets mit Anwälten abgestimmt.

Betreiber beklagen "Schäden durch öffentliche Vorverurteilung"

Die Betreiber sagen, durch die Razzia und die anschließende öffentliche Vorverurteilung sei ihnen ein großer Schaden entstanden. Einerseits finanziell, denn viele Geschäftsleute und Prominente hätten sich nicht mehr in den Laden gewagt. Andererseits privat: Ihre Kinder seien an der Schule wie Aussätzige behandelt worden. Eine Menge Freunde und Bekannte hätten sich zurückgezogen. „Das hat uns sehr enttäuscht, aber wir können es auch verstehen“, sagt Hakki Simsek. „Wer will schon mit Menschenhändlern befreundet sein?“ Es werde garantiert „etwas haften bleiben. Das Stigma werden wir nie wieder ganz los.“

Der Beschluss des Landgerichts ist nun eindeutig: Die Prostituierten seien nicht als Arbeitnehmer einzustufen. Zudem falle die Anklageschrift durch missverständliche Formulierungen und die teils ungenaue Wiedergabe von Sachverhalten auf. Die Staatsanwaltschaft könnte die Nichteröffnung der Hauptverhandlung jetzt hinnehmen und damit indirekt ihre Niederlage eingestehen – oder sofortige Beschwerde einlegen. Dann allerdings würde der Fall wieder vor dem Berliner Kammergericht landen. Das hatte den Ermittlern ja schon vor zwei Jahren unsaubere Arbeit bescheinigt.

Betreiber Simsek sagt: „Ich glaube, es war kein Zufall, dass die Razzia in zeitlicher Nähe zum Wahlkampf stattgefunden hat.“ Er hoffe zwar, dass irgendwann „aufgeklärt wird, warum man uns das angetan hat. Aber meine Hoffnung ist nicht groß.“

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