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Berlin: Berliner Nachrufe: Wolfgang Lesser, Geb. 1924

Kultur-Arbeiter könnte man einen wie Wolfgang Lesser nennen. Denn er komponierte, organisierte, arbeitete sich auf für die DDR und hatte dabei so gar nichts Bohemehaftes.

Kultur-Arbeiter könnte man einen wie Wolfgang Lesser nennen. Denn er komponierte, organisierte, arbeitete sich auf für die DDR und hatte dabei so gar nichts Bohemehaftes. Der Begriff Boheme war in Deutschlands Osten ohnehin längst abgeschafft. Lesser schrieb Lieder, in derer Texte sich "Saat" auf "Staat" reimt, auch Kammermusik, eine Symphonie. Außerdem beschaffte er Musikern fehlende Instrumententeile. Den Partei-Oberen wiederum schrieb er mahnende Briefe, dass zu viele der Instrumente gegen Devisen in den Westen verkauft würden.

Der Komponist machte eine Funktionärs-Karriere: Vom zweiten Sekretär des Komponisten-Verbandes stieg er auf zum Präsidenten. Lesser meinte es ernst mit der DDR, so ernst, dass er die Wende nur schwer verkraften konnte. In den 90er Jahren, mittlerweile Rentner, konnte er nicht mal den Details der neuen Welt etwas abgewinnen: dem Reisen nicht, nicht den Konzerten in der Philharmonie. Was er auch im Westen unternahm, immer schwang für ihn der Grundfehler des bundesdeutschen Systems mit: Dass es einen Ausgleich zwischen Arm und Reich nicht mal mehr anstrebt.

Lesser war schon in der FDJ, als es noch gar keine DDR gab. Anfang der 40er Jahre lebten die ersten Freien Deutschen Jugendlichen in London. Eine Clique jüdischer Exilanten, die alle ein ähnliches Schicksal teilten. Wolfgang Lesser zum Beispiel musste aus Berlin fliehen, weil die SA rausgefunden hatte, dass er Flugblätter gegen Hitler verteilt hatte. Gerade 16 Jahre alt geworden, schlug er sich in England als Landarbeiter, Lackierer oder Tellerwäscher durch. Schließlich kämpfte er sich als englischer Soldat über Afrika, Italien, Österreich zurück nach Berlin.

In Berlin war von seinem früheren Leben nichts mehr übrig. Er fand nur ein Aktenvermerk, auf dem die Nazis die Anzahl der Socken, Hemdkrägen, Hemden aufgelistet hatten, die seine Eltern mit in den Zug nach Auschwitz genommen hatten. Den Steinway-Flügel hatten sie bei Bekannten unterstellt. Da stand er noch, nur lagen jetzt die Trümmer eines ganzen Hauses drüber. Wolfgang Lesser barg den Flügel, und dieses einzige Relikt seiner Herkunft sollte er fortan durchs Leben nehmen. Erst in die Sowjetische Besatzungszone: in einen Altbau nach Treptow, Kohleheizung. Im Osten Berlins wollte es mit den Deutschen nochmal versuchen. "Er glaubte, sie zum Guten erziehen zu können", erklärt seine Frau. Jahrzehnte später schleppten die Packer das Instrument in den neunten Stock in die Leipziger Straße. Nach 12 Jahren auf der Bedarfsliste bekam die Familie eine Neubauwohnung zugeteilt - Lesser, der hohe Funktionär, wartete darauf so geduldig wie alle anderen.

In den Jahren, bevor er starb, zog er sich immer mehr in die Wohnung zurück. Er war enttäuscht von den alten Chefs aus dem Zentralkommitee. Sagten sie doch bei einer Befragung der ersten frei gewählten Volkskammer aus, seine ganzen Briefe mit den Verbesserungsvorschlägen hätten sie nie interessiert. Trotzdem blieb Lesser bekennender Kommunist in diesen Jahren, in denen "Kommunist" und "ans Gute im Menschen glauben" auf einmal so unvereinbar klangen. Zuletzt saß er oft am Flügel und spielte die alten Lieder von der Saat und vom Staat.

nol

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