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Fingerfertig. Kaum zu glauben – es gibt deutsche Jo-Jo-Meister: Andres Pegam (v. r. n. l.), Bao Dang und Marc Freudenreich haben einen Titel zu verteidigen. Fotos: Björn Kietzmann

© Björn Kietzmann

Berliner proben für deutsche Jo-Jo-Meisterschaft: Schnur die Liebe zählt

Kein Kinderspiel: Drei Berliner wollen in Leipzig deutsche Meister werden – im Jo-Jo. Einblick in ein ungewöhnliches Hobby.

Immer, wenn Bao Dang mal zehn Minuten auf die nächste U-Bahn warten muss, holt er ein kleines rundes Ding aus der Tasche. Er lässt es Saltos machen und auf dem Seil tanzen. Das Ding summt angenehm, Dangs Geist fokussiert sich, die Minuten fliegen dahin... – „Ey krass, ist das ein normales Jo-Jo?!“, fragt dann meistens irgendjemand ehrfürchtig. Gucken, staunen, anquatschen – die Reaktionen auf Dangs Vorführungen sind immer gleich. Er ist amtierender Jo-Jo-Deutschlandmeister der Team-Kategorie. Am Sonnabend wollen er und seine Freunde Andres Pegam und Marc Freudenreich diesen Titel in Leipzig verteidigen.

Die drei treffen sich zum Üben auf der Bühne des „Little Stage“ in der Neuköllner Jonasstraße; sie tragen Pokerface und schwarze Kapuzenpullis. Ihre Jo-Jos überschlagen sich über ihren Köpfen, landen dann punktgenau wieder auf der Schnur wie kleine Akrobaten. Zur Meisterschaft muss jede Bewegung muss sitzen. Andres Pegams Hände sind von Schwielen übersät, aber er spielt trotzdem weiter. Sein erstes Jo-Jo hat er 1993 in seinem Austauschjahr in den USA geschenkt bekommen, es war aus Holz, „your own portable fun machine“ stand darauf. Seitdem hängt er am Jo-Jo. „Ich habe mich erst im Internet fünf Jahre lang selbst radikalisiert“, sagt er und grinst, „dann habe ich mit zwei anderen Leuten diese Selbsthilfegruppe hier gegründet.“ Die Selbsthilfegruppe, das ist die Jo-Jo-Crew „Burning Berlin“, die seit ein paar Jahren das „Little Stage“ zu ihrem erweiterten Wohnzimmer erklärt hat. Etwa 20 Leute treffen sich hier jeden Dienstag, Berlin ist so zum Hotspot der Szene geworden. Früher hing auch Jo-Jo-Star Dennis Schleussner mit ihnen rum. Doch der tritt jetzt in der ganzen Welt auf – 2012 hätte er Schauspielerin Halle Berry bei „Wetten, dass..?“ fast mit seinem Jo-Jo erschlagen.

Jeder hier hat eine Geschichte zu erzählen, wie er zum Jo-Jo kam. Alexander Ditz ist seit einem schweren Fahrradunfall in seiner Kindheit körperbehindert. Seine Mutter drückte ihm vor 16 Jahren ein Jo-Jo in die Hand – zur Übung der Feinmotorik, weil bis dahin nichts geholfen hatte. Ditz fing langsam an, das Jo-Jo mit steifen Fingern zu bewegen – heute fliegen seine Finger so flink über die Schnur, dass die Augen der Zuschauer kaum folgen können. „Von wegen Behinderung“, scherzt ein vorbeigehendes Mädchen, „guck, wie der spielt. Der soll uns nix erzählen.“ Oder Marc Freudenreich: Als Discjockey sollte er Musik zu zu Andres Pegams Jo-Jo-Performance auflegen, vergaß aber zu spielen; als er sah, was der Freund mit dem Gerät anstellte, kippte er aus den Latschen – seitdem ist auch Freudenreich dabei.

So geht’s. Mit der Jo-Jo-Schnur werden Figuren gemacht.
So geht’s. Mit der Jo-Jo-Schnur werden Figuren gemacht.

© Björn Kietzmann

Jo-Jo freilich ist keine neue Erfindung: Schon seit mehr als 2000 Jahren rollen Kinder runde Scheiben unterschiedlichster Materialien an Fäden auf und ab. In den Neunzigern gab es leuchtende Jo-Jos in jedem Kaugummiautomaten. Und nun sitzen hier lauter erwachsene Männer und Frauen zwischen 21 und 36 und erzählen mit leicht schmerzenden Fingern, aber leuchtenden Augen, welche Freude ihnen die bunten Plastikdinger bereiten. Woher kommt die neue Faszination an einem so alten Spielzeug? „Ganz einfach”, erklärt eine junge Frau, „seit 2002 gibt es unresponsive Jo-Jos, damit konnte man auf einmal bis zu zwei Minuten lange Tricks machen." Die herkömmlichen Jo-Jos drehten sich höchstens zehn Sekunden am Stück, bevor sie zurückschnellten. Tricks wie der „Eiffelturm“, bei dem die Schnur so gehalten wird, dass sie an die Umrisse des Wahrzeichen erinnert, waren schon das höchste der Gefühle. Heute zeichnen Könner mit der Schnur ganze Bilder in die Luft.

Das Jo-Jo-Spiel ist so zur Kunstform geworden. Auf der ganzen Welt wird es derzeit populärer: Dieses Jahr gab es die erste internationale Jo-Jo-Konferenz in Polen. Und während der Demonstrationen in Istanbul konnte man auf dem Taksim-Platz Menschen beobachten, die zwischen Gaspatronen Jo-Jo spielten, aus Protest. Morgen bei der Deutschlandmeisterschaft auf der Messe „Modell, Hobby, Spiel“ in Leipzig haben die drei Berliner gute Chancen, noch einmal den Titel zu holen. Wer hätte das gedacht: Zu gewinnen gibt es Tüten mit wertvollen Jo-Jos.

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