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Berlin: Berliner Spitzen

Medizin von Rang und Liste: Wie Fachleute die Versorgung in den Kliniken der Stadt beurteilen. Lob für Krebs- und Rheumatherapien sowie Behandlung von Opfern schwerer Unfälle Wegen mancher Behandlung kommen Patienten aus allen Teilen der Republik

Ein gerne benutztes Bonmot besagt, dass elf Meinungen hört, wer zehn Ärzte befragt. Stimmt so nicht ganz. Jedenfalls nicht, wenn es um die Einschätzung Berlins als Medizin-Standort geht. Denn da schneidet die Stadt nach Expertenmeinung recht gut ab. Bei welchen Fachgesellschaften man auch anfragt – wenn es um medizinische Spitzenleistungen geht, werden meist dieselben vier deutschen Städte genannt: Hamburg, Heidelberg, München und Berlin. Drei Großstädte, eine deutlich kleinere Stadt, mit gewachsener Tradition und Universitätsmedizin von Ruf. Die Charité ist eines der größten Forschungskrankenhäuser der Welt. Kurzum, Berlin ist ein wichtiges Versuchsfeld, wenn es um Entwicklung und Erprobung neuer Diagnoseverfahren und Therapien geht. Dass zudem die Beteiligten selbst und auch Landespolitiker Berlin gerne als Medizin-Hauptstadt sehen möchten, verwundert nicht. Aber reicht das, um Experten zu beeindrucken?

„Eher nicht“, sagt Hartwig Bauer, der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Es gebe eine „insgesamt exzellente chirurgische Versorgung auf internationalem Niveau“. Vor allem in der Krebschirurgie, so meint Bauer, sei Berlin „hervorragend“ – in der Spitze wie in der Breite. „Da ist in den vergangenen Jahren Wegweisendes passiert: vor allem in der Disziplinen übergreifenden Zusammenarbeit zwischen Strahlentherapeuten, Chirurgen und anderen.“

Mathias Freund, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie und Professor an der Universität Rostock, sieht Berlin in Sachen Krebsforschung und -behandlung „in der ersten Reihe“. Eine Spezialdisziplin sei die Sarkomtherapie: die Behandlung des schwarzen Hautkrebses. Eine Arbeitsgruppe am Charité-Klinikum Benjamin Franklin habe zu diesem Thema eine europaweit anerkannte Studie verfasst.

Und Ekkehard Genth, Professor in einer Aachener Rheumaklinik und Beirat der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, nennt die Arbeit der Berliner Kollegen „in der Spitze sehr gut“. Als Haus mit Ruf gilt die Rheumaklinik in Berlin-Buch.

Alles bestens, also? Die Antwort ist ein klares Jein. Günter Jonitz, Präsident der Berliner Ärztekammer, schließt sich dem Lob zwar grundsätzlich an. Allerdings nicht uneingeschränkt. Herzinfarkte, sagt Jonitz, würden in Berlin besser versorgt als im Rest der Republik, für Risikoschwangerschaften gebe es hochkompetente Zentren, Ähnliches gelte auch für Tumorkrankheiten. Für Brustkrebsbehandlung etwa. In Flächenländern müssten Betroffene mitunter 200 Kilometer fahren, um eine geeignete Klinik zu finden, in Berlin sind diese dicht gedrängt.

„Doch trotzdem“, sagt Jonitz, „sterben in Berlin zu viele Menschen – obwohl es aus medzinischer Sicht zu verhindern wäre.“ Die Gründe sieht Jonitz in sozialen Problemen. Armut und Bildungsferne führten dazu, dass Menschen spät oder gar nicht zum Arzt gingen. „Die Folge ist: Sie sterben an Krebs, Lungen- oder Kreislaufkrankheiten.“ Auch in der Palliativ-Medizin gebe es Aufholbedarf. Palliativmedizin meint die Behandlung von Patienten mit einer weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung, zum Beispiel Krebspatienten, und die Linderung von Schmerzen. „Da ist Berlin nicht so weit wie andere Städte und wie es wünschenswert wäre“, sagt Jonitz.

Dennoch: Menschen, deren Verletzungen oder Erkrankungen eine besondere Behandlung erfordern, werden nach Berlin verlegt. So zum Beispiel, wenn sie ein Kunst-Herz benötigen oder großflächige Brandwunden versorgt werden müssen. Waren Patienten mit Herzschwächen vor wenigen Jahren noch schwer therapierbar, hat das Deutsche Herzzentrum dieses Fachgebiet beflügelt: Seitdem haben die Herzspezialisten mehr als 50 000 Operationen mit Herz- Lungenmaschinen durchgeführt. Die Klinik in Berlin-Wedding verfügt über die modernsten Diagnosegeräte für die Kardiologie. Große Erfolge feierten die Berliner Herzspezialisten mit einem Kunstherz, das sie entwickelt haben.

Was die Versorgung von Unfallopfern mit komplizierten Verletzungen betrifft, so genießt das Unfallkrankenhaus Berlin (UKB) in Marzahn ein bundesweit hohes Ansehen. Und das nicht erst, seit der Berliner Profi-Basketballer Matej Mamic, dort behandelt wurde. Mamic hatte sich während eines Bundesliga-Spiels die Halswirbelsäule gestaucht und war danach einige Zeit gelähmt.

Im UKB werden auch Verletzte mit großflächigen Verbrennungen behandelt. Deren Überlebenschance hat sich mittlerweile deutlich erhöht, weil sich die Ärzte im Zentrum für Schwerbrandverletzte auf jahrelange Erfahrung stützen. Schnell versorgen sie die schweren Verbrennungen, bekämpfen den Schock, beatmen die Patienten und ersetzen geschädigte Organe. Dafür stehen zwölf Betten zur Verfügung. Bei besonders schweren Unfällen landen die Hubschrauber der Rettungsdienste auf dem Dach der Klinik, um die Opfer aus dem ganzen Bundesgebiet einzuliefern. In diesem Punkt gibt es keine zwei Meinungen.

Marc Neller, Heiko Schwarzburger

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