zum Hauptinhalt
Betahaus

© Kitty Kleist-Heinrich

Büroanbieter: Schreibtisch zu vermieten

Einen Arbeitsraum brauchen Freiberufler nur manchmal, gute Verbindungen brauchen sie immer. Deshalb boomen in Berlin Modelle, die beides anbieten: ein Zimmer auf Zeit und neue Kontakte.

Berufliche Freiheit – ein tolles Gefühl. Berufliche Freiheit – manchmal beklemmend, denn sie bedeutet auch immer Unsicherheit. Gut 60 000 Freiberufler gibt es in Berlin, viele von ihnen arbeiten im kreativen Bereich, oft als Einzelkämpfer. Kontakt per Internet, Zeit und Ort beliebig. Wenn das Geschäft läuft, bedeutet diese Freiheit irgendwann, dass man immer und überall arbeiten kann – und nie wirklich frei hat. Ein neues Geschäftsmodell soll die Schar der Einzelkämpfer aus ihren Küchen und Wohnzimmern holen und zusammenbringen: In Kreuzberger Hinterhöfen und Fabriketagen entstehen Büroräume, in denen man sich einen Arbeitsplatz mieten kann. Die Nutzung ist so flexibel wie die eines Fitnessstudios, das Ambiente eine Mischung aus Internetcafé, Büro und Wohngemeinschaft.

Zum Beispiel: das „Betahaus“. Der Lastenaufzug im Hinterhof in der Prinzessinnenstraße quietscht, manchmal bleibt er auch stecken, auf seinem Weg in die perfekt organisierte Freiheit. In der Fabriketage im dritten Stock sind die Wände kahl. Neonröhren ziehen sich die Decke entlang und Stromkabel von denen über den Tischen Mehrfachstecker herabhängen, damit überall im Raum Laptops angestöpselt werden können. Freiheit braucht Infrastruktur.

Hinten an der Fensterfront sitzen Studenten an ihren Computern und organisieren eine Jugendwählerkampagne zur Europawahl. Daneben bearbeitet eine Fotografin ihre Bilder. Den großen Tisch hat sich die Architektin reserviert, aber wenn sie nicht da ist, sitzt dort mal ein Journalist, ein Buchhalter oder ein Musikpädagoge, der seine Stunden vorbereitet. Sie mieten die Tische tageweise, eine Woche, monatelang oder auf Dauer, je nach Bedarf. Neben der Infrastruktur ist der Vorteil eines solchen Raumes auch das entstehende Netzwerk. Hinten links in der Ecke gründen zwei Jungs eine Restaurantkette und am Tisch daneben wickelt ein Grüppchen mit Telefonen und Computern PR und Anzeigenverkauf zweier Stadtmagazine ab – künftige Zusammenarbeit nicht ausgeschlossen.

Auf den 400 Quadratmetern Fabriketage kann man ab 99 Euro im Monat einen Tisch mit Internetzugang bekommen. Wer mehr zahlt, hat zusätzlich eine Büroadresse, ein Schließfach und für ein paar Stunden den Konferenzraum. 120 Arbeitsplätze gibt es insgesamt, Ausstellungsräume und ein Internetcafé.

Viele die hierherkommen, wissen nicht, was in drei oder sechs Monaten ist. Vielleicht ein fester Job, vielleicht ein Projekt, vielleicht kein Geld mehr. „Große Flächen und lange Laufzeiten der Mietverträge sind für die Bedürfnisse vieler Selbstständiger unrealistisch. Darum mieten wir den Raum und verteilen ihn dann in Portionen“, sagt Tonia Welter, eine der Gründerinnen von Betahaus.

Einzigartig ist die Idee nicht. Das erste derart flexible Großraumbüro in Berlin ist das SelfHUB am Erkelenzdamm, nur ein paar Meter vom Betahaus entfernt. Im Januar letzten Jahres eröffnete es mit 40 Arbeitsplätzen. Mittlerweile gibt es 150 Nutzer, die unterschiedlich häufig kommen, um zu arbeiten, Kaffee zu trinken oder Projekte auszutauschen. Am Anfang seien vor allem Einzelarbeiter gekommen, sagt Wiebke Koch, Vorsitzende des als Genossenschaft organisierten Unternehmens. „Inzwischen kommen aber auch Mitarbeiter von Firmen, die einen Konferenzraum in Berlin brauchen oder einen zusätzlichen Arbeitsplatz. Teams mieten sich projektweise ein – oder finden sich hier.“ Um dieses Netzwerk zu fördern, beginnt die Woche im SelfHUB, für alle, die wollen, mit einem Frühstück und endet mit einem Pub-Besuch, zusätzlich gibt es Lunchs zu bestimmten Themen. Auch wenn es dabei „nicht vorrangig um Arbeit“ gehe, sondern um den „Social Exchange“, wie Koch sagt, sind Kunden und andere Interessierte immer willkommen. „Wir bieten den Raum und die Zutaten für ein gemeinsames Arbeiten und Leben.“ Außer Tischen und der Internetverbindung gibt es deshalb auch eine Küche und eine Dusche.

„Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen immer stärker“, sagt Christian Härtwig vom Arbeitsbereich Arbeitspsychologie der Freien Universität Berlin. In einer Langzeitstudie untersuchten er und Kollegen die Arbeitsbedingungen in der IT-Branche und deren Auswirkungen auf das Leben der Beschäftigten: Freunde, Kunden, Kollegen – so gut wie alle Kontakte speisten sich aus derselben Gruppe, sagt Härtwig.

Die Nachfrage nach flexiblen Büroplätzen in Berlin ist übrigens so groß, dass das Betahaus sogar schon vor der offiziellen Eröffnung provisorische Arbeitsplätze vermietet hat: direkt über der Baustelle, aber so begehrt, dass es eine Warteliste gab.

Katrin Zeug

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false